94. In Halle

Mein erstes Antiquariat, wo ich vor Jahrzehnten paar Bücher verkaufte (denn ich war jung und brauchte das Geld), aber dann mit Sicherheit Jahr um Jahr viel mehr kaufte, ist jetzt zu. „Ladenlokal zu vermieten“ steht dran. Voriges Jahr war es noch auf, aber mit verändertem Inhalt. Ein Druckhaus verkaufte dort die Bücher seiner Kleinverlage, von Janus Press mit Papenfuß und Franz Mon über Reinecke & Voß bis zu – für mich – dubiosen Thüringer Barden mit viel völkischem Gefühl und schlechtem Gereim. Aber noch vor 3 Jahren bekam ich ein paar fehlende Bände der Klopstockausgabe aus dem 19. Jahrhundert. Und jetzt ist zu. Alles hört mal auf. Ein paar hundert Meter weiter war mal eine „Volksbuchhandlung“, die war schon lange zu. Jetzt gibt es nur noch Thalia am Markt. Im Erdgeschoß Regionalliteratur und Bestseller. Rolltreppen nach oben und unten. Oben gibts „Romane und Kinderbücher“, unten „Fachliteratur“. Ob sie auch Lyrik haben? Ich entscheide mich für unten. Viel Esoterik, Hobbies, viel Fachliteratur vieler Couleur. Lyrik könnte zwischen Esoterik und Hobby passen, denke ich und frage eine Buchhändlerin, ob sie noch einen Restbestand Lyrik führen. Wieso Restbestand? fragt sie. Ich: na weil das überall weniger geworden ist. Sie aber meint, bei ihnen sei es mehr geworden. Oben, bei den Romanen. Und tatsächlich, ein ganzes Regal etwa Meterbreite. Viel Geschenklyrik, DIE Lieblingsgedichte DER Deutschen, Gedichte für Männer, Gedichte für Frauen usw, aber dazwischen auch Gutes. Sogar paar lebende Autoren, Björn Kuhligk sehe ich und eine Anthologie von Ron Winkler. Mehrere Hefte des Poesiealbum fallen mir auf, Tadeusz Różewicz gleich mehrmals, das ist schon was. Und dann finde ich ein nagelneues Buch von Kito Lorenc, „Gedichte“ in der edeln Bibliothek Suhrkamp, mit einem Vorwort von Peter Handke. Warum reden bloß alle über den Prozeß, statt über die tollen Bücher, die die immer noch machen? Und, ja: Noch ist Halle nicht verloren.

DSCI9533

Kito Lorenc: Gedichte. Bibliothek Suhrkamp 1476, Gebunden, 128 Seiten
ISBN: 978-3-518-22476-2

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