71. „Die man einfach lieben muss“

Immer wieder sind es kurze Augenblicke einer Begegnung, aus denen heraus Thomas Kunst sein Alphabet der Sehnsüchte entwickelt – die Spielorte seiner leisen, menschlichen Dramen reichen dabei von Stralsund über Venedig bis hin zum texanischen Tucson. Eifersucht, Obsession und Schmerz schwingen in diesen Gedichten über die Liebe stets mit, doch sind viele der Texte durchaus ironisch, durchaus komisch. Einmal zum Beispiel verguckt sich ein Mann in eine junge Wissenschaftlerin, deren Vortrag er besucht – die Komik liegt im Detail: Seine umschwärmte Forscherin ist eine Doktorandin aus der Nähe von Paderborn, die in einem Forstmuseum in aller Ausführlichkeit über die Kulturgeschichte der Wäscheklammer referiert.

Die Dresdner „edition Azur“, ein kleiner Verlag mit spannendem und hochkarätigem Programm, bietet mit diesem schön ausgestatteten Band die Gelegenheit, die Arbeiten von Thomas Kunst neu zu entdecken. Denn der Dichter hat es nicht leicht gehabt in den letzten Jahren, zu sehr sperrt sich seine Poesie gegen lyrische Moden und Tendenzen, zu sehr beharrt sie auf ihrer assoziativen Kraft. So versammelt „Die Arbeiterin auf dem Eis“ keine wohltemperierten Gedichte mit intellektueller Aufladung: Leicht macht es Thomas Kunst dem Leser nicht mit seiner sturen und sperrigen Art des Dichtens – hat man sich aber an den unverwechselbaren Rhythmus und Tonfall gewöhnt, dann lernt man die Widerspenstigkeit der Kunst’schen Lyrik zu schätzen – unter die Haut gehende Textkompositionen über die Liebe, die man einfach lieben muss. / Martin Becker, DLR

Thomas Kunst: 
Die Arbeiterin auf dem Eis. Gedichte
edition Azur, Dresden 2013
136 Seiten, 22 Euro

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