Immer noch da, hellwach

175 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Seit vielen Jahrzehnten gehört Dagmar Nick zu den stillen, unverkennbaren Stimmen der deutschen Literatur: präzise, hellhörig, unprätentiös und klar.

Sie hat ein Werk geschaffen, das sich modischen Strömungen stets entzogen hat, und es ist noch nicht zu Ende. Im nächsten Jahr wird sie 100, und vor Tagen wurde bekannt, dass die Stadt München ihr kurz davor ihren Kulturellen Ehrenpreis verleiht. „Immer noch da, hellwach“, heißt es in der Jurybegründung. Immer noch vertreten auch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Das Gedicht“, die gerade erschienen ist. Hier ihr Beitrag zu der Ausgabe, die unter dem Motto „jung und alt“ steht.

Dagmar Nick

 (* 30. Mai 1926 in Breslau)


Vita

Durch alle Feuer gegangen, auch
durch die Explosionen der Liebe
und anderer Versuchungen
ohne Verlust.
Bei den Glutnestern Wache gestanden,
bis sie erkaltet waren, und die Asche
mit unseren Initialen markiert,
bevor sie zerstob.
Es gab nichts zu bereuen und
nichts zu bedauern. Und wenn
die nächsten Scharmützel
auf den Vulkanen begännen –
ich wäre dabei.

Aus: Das Gedicht. jung und alt. Herausgegeben von Matthias Kröner und Anton G. Leitner, #33, 2025, S. 114

Rilke-Russisch

Noch einmal Rilke. Felix Philipp Ingold hat in seine zweisprachige Anthologie „»Als Gruß zu lesen«. Russische Lyrik von 2000 bis 1800“ (Dörlemann 2012) auch eines der von Rilke original auf Russisch geschriebenen Gedichte aufgenommen. Ingold schreibt im Anhang:

Rilkes Interesse an Rußland und an der russischen Sprache geht auf Anregungen seiner damaligen Freundin Lou Andreas-Salomé zurück, mit der er zusammen 1899/1900 das Zarenreich bereist. In Moskau, Petersburg und anderswo lernt er Literaten, Künstler, Kritiker kennen. Mit großer Einfühlung rezipiert er die »russischen Dinge«, über die er später in Vers und Prosa schreiben wird, und seine Sprachkompetenz reicht offenbar bereits dazu aus, Texte von Dostojewskij, Tolstoj, Tschechow aus dem Original ins Deutsche zu übersetzen. Zwischen den beiden Reisen verfaßt Rilke (Ende 1900 in Schmargendorf) einige grammatikalisch wie orthographisch zwar mangelhafte, künstlerisch aber durchaus ansprechende Gedichte, die er drei Monate danach durch zwei weitere, formal deutlich stärkere Texte ergänzt. Die titellosen Texte gelten in der Rilkeforschung gemeinhin als Entwürfe oder Fragmente, doch nichts spricht dagegen, sie als abgeschlossene Gedichte zu betrachten; eines davon – »Ermattet …« (»Ja tak ustal …«, 1901) – erscheint hier in deutscher Nachdichtung beziehungsweise in deutscher Rückübersetzung aus dem Russischen. Zweierlei ist an diesem Text – die originale vorrevolutionäre Orthographie mitsamt Rilkes sprachlichen Fehlern wurde beibehalten – bemerkenswert: Einerseits entsprechen seine Intonation und Metaphorik unverkennbar der von Rilke gleichzeitig in deutscher Sprache verfaßten Lyrik, andererseits läßt er (genauso wie die übrigen russischen Gedichte) keinerlei thematischen Bezug zu Rußland erkennen – die »russischen Dinge« bleiben ausgespart in einem Sehnsuchtsraum, doch ihre Aura wird lyrisch vergegenwärtigt, und dies mit impliziter Bezugnahme auf Johann Wolfgang von Goethes Erlkönig-Gedicht.

Rainer Maria Rilke 

(* 4. Dezember 1875 in Prag; † 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz)

Ermattet ...

Ermattet von der Last der Schmerzenstage
erfahre ich die leere Nacht, die ohne Klage
aus fernem Feld auf meine stillen Augen fällt.
Mein Herz hat sich zur Nachtigall gesellt,
doch fehlen ihm für deren Lied die Worte;
mir ist, als ob ich nur mein Schweigen hörte –
es wächst heran wie Angst in tiefer Nacht,
verdüstert sich zu einem allerletzten Ach!
– das Kind ist fort, der Tod hat's weggebracht.
11. April 1901

Aus dem Russischen von Felix Philipp Ingold

Ingold gelingt eine Nachdichtung unter weitgehender Bewahrung des Silbenmaßes (überwiegend zehn oder elf Silben) und des Reims mit leichter Vereinfachung: im Original reimen die ersten 4 Silben aufeinander. Auch am Schluss gibt es eine kleine Umstellung.

Hier der Versuch einer volkstümlichen aussprachenahen Transliteration mit Unterscheidung von stimmhaftem/stimmlosem s- und sch-Lauten: z/s und sh/sch sowie mit Betonungsstrichen:

Ja ták ustál ot tjáshby bolných dnjéj,
pustája nótsch bezwétrjennych poljéj
leshít nad tíschinoi móich otschéj.
Moj sérdtse natschinál kak solowéj,
no doskazát ne mógh swoí slowá;
tepér moltschánije swójo slýschu já —
onó rastjót kak w nótschi strách,
temnéjet kak poslédnij ách
zabýtawo umerschawó rebjónka.

Ich habe die KI beauftragt, die Qualität von Rilkes Russisch zu bewerten.

Seine Beherrschung der Sprache war passiv gut, produktiv aber begrenzt – und das merkt man.

(A) Grammatik

Stärken
* Die syntaktische Struktur ist meist korrekt.
* Viele Wendungen sind idiomatisch gut getroffen („лежит над тишиной моих очей“ ist poetisch akzeptabel).
* Genitivkonstruktionen funktionieren.

Schwächen / Auffälligkeiten

* тяжьбы больных дней ist ungewöhnlich; richtig wäre „тяжбы больных дней“ ohne ь nach ж; Bedeutungswahl wirkt fremd.
* свой слова ist grammatisch falsch → müsste „свои слова“ sein.
* оно растет как в ночи страх ist semantisch holprig; ein Russischsprachiger würde eher eine Umstellung wählen.
* последний ах ist semantisch möglich, aber wirkt extrem untypisch, fast unbeholfen.
* забытого умершего ребенка ist möglich, aber die Kombination ist eher unbeholfen als poetisch wirkungsvoll.

Gesamturteil Grammatik:

➡️ nicht fehlerfrei, aber verständlich; deutlich Nicht-Muttersprachler.

(B) Orthografie

* Original folgt korrekt der prä-revolutionären russischen Rechtschreibung: End-ъ nach Wörtern: правильно – ѣ (ять): richtig verwendet, betrifft bestimmte lexikalische Traditionen.
* Einige Inkonsequenzen wirken aber wie Fehler eines Lernenden.

➡️ weitgehend korrekt, kleinere Inkonsequenzen.

(C) Wortwahl & Stil

* Rilke versucht sichtbar, russische Symbolisten zu imitieren (Balmont, Belyj, frühe Blok-Töne).
* Viele Wörter sind treffend, aber Kombinationen wirken künstlich, manchmal schwerfällig.
* Man merkt, dass er eher „übersetztes Rilke-Deutsch“ in russischer Form schreibt.

➡️ poetisch ambitioniert, aber stilistisch nicht idiomatisch russisch.

(D) Metrik

Rilke strebt klar einen jambischen Fünfheber an (klassische russische Form). Aber:
* Betonungen stimmen häufig nicht.
* Syntax erzwingt metrisch harte Brüche.
* Muttersprachliche russische Lyrik dieser Zeit klingt wesentlich fließender.

➡️ metrisch unsauber; manchmal gelingt der Rhythmus, oft nicht.

Gesamturteil über Rilkes russisches Gedicht

Literarische Qualität:
* hoch als historisch-biografisches Dokument,
⚠️ mittel bis schwach als russisches Gedicht.

Es ist deutlich spürbar, dass Rilke nicht in der russischen poetischen Tradition zuhause war. Er denkt in deutscher Bildsprache und baut diese in russische Grammatik ein – oft etwas gezwungen, aber mit intensiver emotionaler Authentizität.

Aber: vielleicht hätte gerade diese Unbeholfenheit (Fremdheit) den russischen Formalisten gefallen?

Zum Schluss noch zwei maschinelle Übersetzungen, die auf unterschiedlichen Wegen näher am Wortsinn sind.

Ich bin so müde von der Last der kranken Tage;
die leere Nacht der windlosen Felder
liegt über der Stille meiner Augen.
Mein Herz begann wie eine Nachtigall,
doch konnte es sein Wort nicht aussprechen;
jetzt höre ich seine Stille –
sie wächst wie in der Nacht die Angst,
verdunkelt sich wie der letzte Seufzer
eines vergessenen, sterbenden Kindes.

(ChatGPT)

Ich bin so erschöpft von den Tagen der
Krankheit; die leere Nacht windstiller
Felder liegt über dem Schweigen meiner
Augen. Mein Herz begann wie eine
Nachtigall, doch konnte es seine Worte nicht
vollenden; nun höre ich sein Schweigen –
es wächst wie die Angst in der Nacht, verdunkelt sich
wie der letzte Atemzug eines
vergessenen, toten Kindes.

(Google Übersetzungs-App)

Rilke 150

142 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Zugegeben, gestern gab es noch ein größeres Jubiläum – den 150 Geburtstag von Rainer Maria Rilke. Hier ein kleines Gedicht des großen Dichters, ein Sonett aus den „Neuen Gedichten“.

Rainer Maria Rilke 

(* 4. Dezember 1875 in Prag; † 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz)

Der König

Der König ist sechzehn Jahre alt.
Sechzehn Jahre und schon der Staat.
Er schaut, wie aus einem Hinterhalt,
vorbei an den Greisen vom Rat

in den Saal hinein und irgendwohin
und fühlt vielleicht nur dies:
an dem schmalen langen harten Kinn
die kalte Kette vom Vlies:

Das Todesurteil vor ihm bleibt
lang ohne Namenszug.
Und sie denken: wie er sich quält.

Sie wüßten, kennten sie ihn genug,
daß er nur langsam bis siebzig zählt
eh er es unterschreibt.

Paris, um den 1. Juli 1906

Aus: Rainer Maria Rilke, Werke in drei Bänden. Hrsg. von Horst Nalewski. Erster Band: Gedichte. Leipzig: Insel, 1978, S. 436f

o tod du dunkler meister

246 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Heute vor 25 Jahren starb der große österreichische Dichter H. C. Artmann. Viele erinnern sich an seine legendären Dialektgedichte, die Wiener Gruppe, den barock-grotesken Humor. Doch Artmann hat auch ganz andere Töne angeschlagen – etwa in diesem Text aus dem Jahr 1954.

„o tod du dunkler meister“ ist eine düster-schillernde Beschwörung: eine Ode, ein Flehen, ein Abwehrzauber. Der Tod erscheint hier als „gallenbittres elixier“, „zugereister harpunier“, „rosenzwerg im hinterhalt“, „aufgerißner kiefer“ und „ohngeformter rattenschnabel“. Eine Galerie von Metamorphosen, die das junge, wilde Artmann-Universum schon vollständig enthalten.

H(ans) C(arl) Artmann 

(* 12. Juni 1921 in Wien-Breitensee; † 4. Dezember 2000 in Wien)

o tod du dunkler meister 
du gallenbittres elixier
du zugereister harpunier und gott
du mond voll blinder augen
du rosenzwerg im hinterhalt
du spinnenturm du spinne
du punkt zum abgethronten leben
o tod du schwarzer meister
erhöre uns erhöre uns
verschone uns
vor deinen spröden särgen
zerbeiß uns nicht das hirn wie glas
o tod du dunkler meister
zerbeiß uns nicht wie glas ..
o tod du dunkler meister
du aufgerißner kiefer
du untrostschwere erden
du ohngeformter rattenschnabel
du durch und durch gewürmtes fleisch
du samenfraß du leere muschel
du nasse aschensonnen
o tod du schwarzer meister
erhöre uns erhöre uns
verschone uns
vor deinen wunden särgen
zerbeiß uns nicht wie glas das hirn
o tod du dunkler meister
zerbeiß uns nicht wie glas ..

3. 7. 54

Aus: H. C. Artmann: Wenn du in den Prater kommst. Gedichte. Herausgegeben von Richard Pietraß. Berlin (Ost): Volk und Welt, 1988, S. 41 (Weiße Lyrikreihe)

Mit und ohne den gut erhaltenen 37 Jahre alten Pergaminumschlag

Fußnotengedichte

Der Gedichtband der argentinischen Lyrikerin Silvana Franzetti baut sich um die Nachrichtensendung des Landfunks LU 20 Radio Chubut auf. Der Landfunk sendet viermal am Tag Nachrichten, es ist die 13-Uhr-Sendung, mit dem letzten Gedicht endet die Sendung, die nächste Sendung beginnt um 16 Uhr. Der Landfunk bringt nach dem Wetter private oder regionale Nachrichten, meist an bestimmte Personen, die mit Namen benannt werden. Jedes Gedicht hat ein Sternchen, das auf eine Radiomeldung geht. Meist ist die Stelle im Gedicht irgendwie mit dem Inhalt der Nachricht verbunden. Vielleicht ist der Gedichtband die Sendung, Gedichte statt Musik, und die Stichworte öffnen sich zu Privatnachrichten. Zwischendurch wird das Radio nur selten erwähnt, so dass man auf diesen Gedanken kommen kann. Gedichte, die außer den verschiedenen poetischen Ebenen noch die der Direktnachricht an einzelne Leser bzw. Hörerinnen haben.*

*) He Bertram, darüber müssen wir noch reden.

Silvana Franzetti

Das, was bis vor kurzem ein Fahrrad* war
und jetzt das Abbild
des Musters einer Schablone ist
gestempelt in den Vorhang aus Metall
der einen Supermarkt verschließt.









*) Letzte Nachrichten.
An Elio Arancibia in der Gegend um Rincón Chico: Benita lässt ihn wissen, dass am Sonntag der Radfahrer kommt. Bitte mit dem Lamm auf ihn warten.


Der Zweifel, der der Reise vorausgeht, gleicht, wie ein Strauch dem anderen, dem Sturm.* Vielleicht wegen der Tendenz sich zu bewegen, die seine Knäuelform ihm gibt. Seitlich ausgedehnt, ohne Spitzen, vom Wind kaum transponiert, die Hochebene. Ich merke immer erst hinterher, dass ich an diesem Ort war.









*) An Miguel Valdés in der Gegend von Los Altares: Er wird gebeten, das Paket in der Tankstelle El Vendaval abzuholen. Falls dies jemand hört, der ihn kennt, soll er es ihm bitte ausrichten.

Aus: Silvana Franzetti: Fußnoten (Buenos Aires, 2002 / Berlin, 2005). Aus dem argentinischen Spanisch von Silvana Franzetti, Tara Mauritz und Monika Rinck. hochroth Berlin, 2021, S. 30 / 32

Der Henker von Paris

Fritz Graßhoff

(* 9. Dezember 1913 in Quedlinburg; † 9. Februar 1997 in Hudson, Kanada)

DER HENKER VON PARIS

Ist wer zu henken in Paris,
so macht das Jean Plumecoque.
Der trägt den scharlachroten Rock
und von Seide ein weißes Chemise.
Erscheint er auf dem Blutgerüst,
dann seufzen die Frauen:
Wie schön er ist!

Und wenn er zuschlägt, schwingt er stolz
das Beil und trifft präzis,
genau zwei Finger überm Chemise,
und der Kopf rollt herunter vom Holz.
Zweihundert köpfte er schon und mehr.
Und die Frauen seufzen:
Wie stark ist er!

Und spritzt das Blut ihm auf die Hand,
dann wischt er's in ein weißes Tuch
und wirft's mit einem leisen Fluch
in die Menge hinunter vom Stand.
Da wird's zerrissen und geküßt.
Und die Frauen seufzen:
Wie süß er ist!

Aus: Fritz Graßhoff: Halunkenpostille. Rumpelkammerromanzen Hafenballaden Spelunkensongs. Mit Zeichnungen von ihm selbst. Duisburg: Carl Lange, 1955 (26.-28. Tausend), S. 47

Jelisaweta Kulman (1808-1825)

273 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Wenn man einmal mit den Jubiläen anfängt, kommt man nicht wieder raus. Heute vor 200 Jahren starb in St. Petersburg die Dichterin Elisabeth, russisch Jelisaweta Kulman. Sie war fürwahr ein Wunderkind, sprach und schrieb viele Sprachen perfekt und dichtete in mindestens dreien: Russisch, Deutsch und Italienisch. Nicht mal ebenso ein paar Kleinigkeiten, sondern jeweils ein paar hundert Seiten. Goethe und Ingold haben sie gelobt, Robert Schumann hat sie vertont. Sie starb mit 17 Jahren, irgendwo hab ich sie mal eine Schwester der Sibylla Schwarz genannt.

Elisabeth Kulmann

(russisch Елисавета Борисовна Кульман/Jelissaweta Borissowna Kulman; * 5.jul./ 17. Juli 1808 greg. in Sankt Petersburg; † 19. November jul./ 1. Dezember 1825 greg. ebenda)

Hier eins ihrer deutschen Gedichte (eins, das mich an ihre ältere Schwester in Greifswald erinnert im Geist und in der Motivik).

Meine Lebensart.

In der ganzen Stadt ist keine
Hütte kleiner als die meine;
Für mich ist sie groß genug.
Noch viel kleiner ist mein Gärtchen,
Ich nur gehe durch sein Pförtchen;
Doch auch so ist’s groß genug.

Zweimal setz’ ich mich zu Tische,
Etwas Fleisch, Kohl, Grütze, Fische;
Hungrig ging ich nie zur Ruh.
Ja, im Sommer, ess’ ich Beeren:
Him- und Erd- und Heidelbeeren,
Oft kommt eine Birn dazu.

Bisher hatt’ ich stets zwei Kleider;
Viele Menschen haben, leider!
Eines nur, und das noch schwach,
Klagen wäre eine Sünde!
Arm ist nur der Lahme, Blinde,
Und die Waise ohne Dach.

Aus: Gemäldesammlung in 30 Sälen, Erster Saal, Nummer 5. In: Elisabeth Kulman, Sämmtliche Dichtungen. Herausgegeben von Karl Friedrich von Grossheinrich. Frankfurt a. M. : H.L. Brönner, 1851, S. 8. (Man muss ziemlich lange blättern bis dahin, weil eine lateinisch nummerierte Biografie vorangeht).

Auf die Nuss

192 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Vor 300 Jahren und 3 Tagen oder, je nachdem welche Quelle man benutzt, vor 301 Jahren und 13 Tagen wurde die Poetin und Philosophin Johanna Charlotte Unzer geboren. Sie war „eine bedeutende deutsche Schriftstellerin „anakreontischer“ Lyrik. Sie schrieb Trinklieder „mit pastoralen Anspielungen, Lieder voll heiteren Flirtens, rationalistische Oden und Naturgedichte“ (so die englischsprachige Wikipedia). Mag alles sein, aber sie konnte es den Herren der Schöpfung auch scharf heimzahlen. Als der berühmte anakreontische Dichter Gleim die Frauen mit Puppen verglich, flirtete sie nicht zurück, sondern haute seinen Geschlechtsgenossen eins auf die Nuss.

Johanna Charlotte Unzer

(* 27. November 1725 in Halle an der Saale; † 29. Januar 1782 in Altona)

Nachricht

Nun, da es Gleim im Scherz geschrieben,
Dass alle Mägdchen Puppen wären;
Hält mancher uns im Ernst für Puppen,
Als wären wir für ihn gedrechselt.
Doch wisst, ihr stolzen Mädchenkenner,
Ihr kleinen Zwecke kleiner Puppen!
Als die Natur uns euch bestimmte,
Damit ihr mit uns spielen möchtet;
Sah sie euch an als kleine Kinder,
Die noch nicht unterscheiden können.

Aus: Frauen | Lyrik. Gedichte in deutscher Sprache. Im Auftrag der Wüstenrot Stiftung herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Anna Bers. Stuttgart: Reclam, 2020, S. 164.

Brief

166 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Alberto Hernández | 1952, Calabozo

Brief

ich habe sehr eigenartige Nachrichten erhalten von deinem Tod,
schon deshalb wünschte ich, einer deiner Nachbarn dort
in New York bezeugte das so, als Wahrheit

und wenn ihm's gelingt

umso besser

was uns angeht, hier, da wir noch leben, bleibt alles wie's ist
wir gehen dahin und atmen den allen gemeinsamen Hauch,
ausgedünnt dieses alltägliche Leid

es fällt mir schwer, mich zu verabschieden, so ist aber das Hassenswerte

Aus dem venezolanischen Spanisch von Geraldine Gutiérrez-Wienken mit Rainer René Mueller, aus: Noch bleibt uns das Haus | Aún nos queda la casa. Lyrik aus Venezuela. Hochroth Heidelberg, 2018, S. 29

Carta

he recibido noticias confusas de tu muerte
sin embargo deseo que algún vecino tuyo allá en nueva york
le imprima valor a esta verdad

y de lograrlo

bien

por aquí, si es que estamos, seguimos en lo mismo:
nos matamos y respiramos un aliento común enrarecido
la misma pesadumbre

me cuesta despedirme, pero así son las cosas del odio

Ebd. S. 28

Anne Dorn (1925-2017)

106 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Verpasst den 100. Geburtstag der Dichterin Anne Dorn, die vor 8 Jahren in hohem Alter verstorben ist.

Anne Dorn 

(* 26. November 1925 in Wachau; † 8. Februar 2017 in Köln)

Willkomm

Die Stille bricht ein Tor ins Haus,
kommt mit Armeen unausgesprochener Gedanken,
Berührungen und Düften, körperlos.
Der Wind verhält, die Uhren reden streng,
die Äpfel wahren sich in ihren Kernen.
Fotografien ziehen sich zurück
in ihre Rahmen. Bücher klammern
die festen Deckel um den schwarzen Inhalt.
Alle Maschinen schrumpfen zum Standby.
Abbruch des projektierten Lebens. Wohltat
der alten Fragen, die von innen strahlen.

Aus: Anne Dorn, Wetterleuchten. Gedichte. Leipzig: poetenladen, 2011 (Reihe Neue Lyrik, Band 1), S. 61

sprachzeiten

409 Wörter, 2 Minuten Lesezeit.

Ekkehard und Wilfriede Maaß veranstalteten seit 1978 in ihrer Wohnung in Ostberlin inoffizielle Lesungen und Konzerte. Viele Besucher kamen, nicht nur die Autoren und Künstler der Untergrundszene, sondern auch prominente DDR-Autoren und Künstler wie Armin Müller-Stahl, Rainer Kirsch, Volker Braun, Helga Königsdorf und Christa und Gerhard Wolf sowie Besucher aus dem sozialistischen und nichtsozialistischen Ausland wie Bulat Okudshawa und Allen Ginsberg. Die Stasi war auch immer dabei und produzierte Anwesenheitslisten und Berichte. Peter Böthig hat eine umfangreiche Dokumentation herausgegeben mit Bildern, Texten und Spitzelberichten. Daraus heute von einer Lesung von Uwe Kolbe vom 29. März 1981 sowie von einem späteren Spitzelbericht.

Die Einladungsgrafik von Rainer Lietze (Bonar) zeigt die Mauer am Ende der Bernauer Straße.

Uwe Kolbe

»GEDICHTE, DACHT ICH, WERDEN NACHTS GESCHRIEBEN«
Ja, manchmal stimmt's, der platte Tag verdreckt
Die Hoffnung, klebt mit Losungen dem freien Auge
Jede Tiefe, jeden Schatten zu, umstellt
Die blütenfeste drillichfein, der panscht den
Wein zu Wasser, lobt Inzest von Hemdenblau
Und Bindenrot und uniformem Blaugrüngrau, der
Übt den Stechschritt, pflegt die Tradition,
Der treibt geschickt zurück in irgendein Jahrtausend
Seinen Schüler, bis er nichts mehr sucht,
Der nimmt im Sommer kaum noch Abschied,
Herzt die Schwester, bis auch sie verstaubt,
Und morgens nur ins Lied der ersten Amsel
Fall ich ein und lüge uns ein wahres Liebeslied.

Aus: Peter Böthig (Hrsg.): sprachzeiten. Der Literarische Salon von Ekke Maaß. Eine Dokumentation von 1978 bis 2016. Berlin: Lukas Verlag, 2017, S. 60f

Information über die Gründung eines Bundes unabhängiger Schriftsteller auf Initiative von Uwe Kolbe (…) Die Absicht von Uwe Kolbe war es zum einen, ein soziales Absicherungsnetz zu schaffen, z.B. mit einer gemeinsamen Kasse, um Autoren, die in sozial unsicheren Verhältnissen leben, zu helfen, und zum anderen ein Informationsnetz zu schaffen, für den Fall, dass jemand verhaftet wird oder in einer anderen Art mit den Sicherheitsorganen in Konflikt gerät. D.h., dass in diesem Fall durch Anderson oder Elke Erb ein Verlag in der BRD benachrichtigt wird, mit der Bitte, eine Öffentlichkeit herzustellen (in westlichen Medien).

Notiz des bearbeitenden Stasihauptmanns:

Der IM berichtet ehrlich und zuverlässig. Info ist nur im MfS auswertbar. (…) Der IM wurde beauftragt, sich zielgerichtet weiter in dieser Gruppe zu integrieren, um den Kontakt zu (Name geschwärzt) und Endler auszubauen. Zielstellung ist es, ins Blickfeld des evangelischen Akademiepfarrers [Name geschwärzt) zu kommen, um den IM im Rahmen von Schriftstellerlesungen bei [Name geschwärzt] an die Familie heranzuführen.

Aus: Ebd. S. 61f

IM: Inoffizieller Mitarbeiter
MfS: Ministerium für Staatssicherheit

Moos und Kristall

367 Wörter, 2 Minuten Lesezeit.

Die zweite vergessene expressionistische Dichterin, an die Alfred Richard Meyer in seiner „maer von der musa expressionistica“ erinnert, ist Lore von Recklinghausen. Von ihr kennen die Antiquare ein paar mehr Bücher und es gibt das Minimum biografischer Information, dass sie 1898 geboren wurde, Rundfunkmitarbeiterin war und 1946 noch lebte. Meyer gibt auch von ihr zwei Gedichte ohne Überschrift (oder vielleicht Gedichtfragmente?), aber von ihr gibt er keine Quelle an, und ich habe auch keinen Gedichtband von ihr gefunden, nur Volkslieder um 1900 und Soldatenlieder, die sie gesammelt und in drei Anthologien zwischen 1935 und 1941 herausgegeben hat. Vielleicht hat sie um 1920 oder später Gedichte veröffentlicht oder wie Vegesack, über den er vor dem Zitat spricht, nach 1945? Hier ihre Geschichte in der musa expressionistica:

(…) vom Expressionistischen verblieb die expressio, der Ausdruck, das Abgewandte, das Verinnerlichte. So auch für Lore von Recklinghausen, die den „Großen Schritt“ erkannte und nun das Moos so zur Seele sprechen läßt:

Ich bin das Moos, bin das älteste Wesen, 
das sich das Urmeer gebar.
Ehe noch Gras und Getiere gewesen,
atmete ich in Gefahr.

Dürre und Frost und der Winde Drehen,
Fluten erschrecken mich nicht.
Alle Geburten und alles Vergehen
sah ich, und jedes Gericht,
das sich die Schöpfung heraus beschworen,
konnte ich überstehn.

Lerne du Seele, sonst bist du verloren,
und deine Spuren verwehn,
wie die Riesenechse und Farne
mit dem Schachtelhalmwald.
Weltenwenden vernichten, ich warne:
Nur das Weise wird alt.

Menschenseele, du jüngstes der Wesen,
werde beständig wie Moos.
Mächtiger bist du und auserlesen,
dann – wie kein zweites so groß.

Ein anderes Mal ist es, daß die Dichterin vor dem Kristall steht, der also zum Verstande spricht:

In den Kristallen ist erstarrt 
die Erde, durchsichtig und hart,
ein Spiegel dem Verstand.

Gott Logos hat sie so erbaut,
und wer durch ihre Formen schaut,
hat sein Gesetz erkannt.

So Klares mag der Mensch nicht seh'n,
will es vernebeln, es verdreh'n,
und dünkt sich sehr gescheit.

Dabei geht er wohl bald zugrund.
Die Erde dreht sich weiter rund.
Kristalle haben Zeit.

Aus: alfred richard meyer: die maer von der musa expressionistica. zugleich eine quasi-literaturgeschichte mit über 130 beispielen. düsseldorf: die faehre, 1948, S. 101f

Die Dichterin im Zoo

409 Wörter, 2 Minuten Lesezeit.

Der deutsche Expressionismus war Männersache, mit der einen Ausnahme Else Lasker-Schüler. Da kann es für mehr als mich interessant sein, dass der expressionistische Verleger Alfred Richard Meyer, der sich als Autor Munkepunke nannte, in seiner 1948 im Verlag Die Fähre, Düsseldorf erschienenen Schrift „die maer von der musa expressionistica“ zwei weitere Autorinnen nennt und mit jeweils zwei Gedichtproben vorstellt. Über beide ist sogutwie nichts in Erfahrung zu bringen bis auf ein paar Bücher, im Fall von Gertrud Werla sogar nur ein Buch, das 1921 in seinem Verlag erschien. Bei einem Antiquar lese ich: „(= Lyrische Flugblätter, Nr. 93); EA.; Original-Pappband mit Deckelholzschnitt von M. Wels und wiederholt als Titel, 12° (14,5 x 11,5 cm), 16 S. auf unbeschnittenem Büttenpapier.“ Nicht ohne Wehmut erinnert er sich im zerstörten Berlin nach dem zweiten Krieg an die Atmosphäre in der Weltstadt Berlin wenige Jahre nach dem ersten, ich zitiere seine Worte mit den beiden eingestreuten Gedichten von Gertrud Werla.

Das war einmal um die Gedächtniskirche zu Berlin herum die Beschwingtheit, um den Zoo, wo die Dichterin Gertrud Werla vor den Käfigen stand („Tiere“, A. R. Meyer, Verlag, 1921), um immer wieder vor den Eulen stehen zu bleiben:

Ihr runden, runden Augen, 
Wissen schreckvoller Nächte,
stumm geheimnisvoller Gründe.
Ihr Augen, Augen.
Warum seht ihr mich immer an?
Ich stehe nicht mehr vor euren Käfigen.
Ich stehe bei bunten Paradiesvögeln,
bei süßen Kolibri und Lustvögeln aus Florida.
Aber immer noch seht ihr mich an,
ihr runden, runden Augen,
Wissen schreckvoller Nächte,
ihr Gründe, Gründe.
O Unaussprechliches
im Schlaf erfühltes.
Ich weiß, ihr seid die Augen meiner Augen.

Von den Eulen, von den Flamingos, von den Affen, von den Adlern, von den Pfauen, von den Kamelen zur Schlangenfütterung:

Verstrickter Leiber Schauer 
schieben sich
Erdbeben in Hügel von Jade.
Gespaltene Zungen
zittern
Wollust in smaragdenen Kelchen hin.
Und Schuppen
sind Silberfächer in der Hand kleiner Japanerinnen,
grüne Blätter aus Obsidian, der auf Vulkanboden wuchs.
Ein weißes Zicklein steht bebend hinein,
Tod, Ahnung, Fluchtversuch,
Mysterium, Opfer,
Verurteilung und ewige Verwandlung.
Da trägt sich's zu
im grünen Aquariumlicht
hinter dicklichen Glasscheiben:
Einsargung lebendigen Auges,
Zerstieben der Sterne,
Aufsaugung, Qual und unerhörte Begebung.
Leiber schieben sich
jach.

Die Dimensionen dieses Ortes sind ausgelöscht. Ein Trümmerfeld. Hart kam der große Tod über alle Tiere.

Aus: alfred richard meyer: die maer von der musa expressionistica. zugleich eine quasi-literaturgeschichte mit über 130 beispielen. düsseldorf: die faehre, 1948, S. 97f.

Die Gedichte tragen in der Ausgabe von 1921 die jeweiligen Titel „Eulen“ und „Schlangenfütterung“.

May Song

328 Wörter, 2 Minuten Lesezei

Lisa Jeschke / Lucy Beynon

May Song

How beautiful shines
To me, the nature!
How the sun glows!
How the mead smiles!

Blossoms penetrate
From each branch
And a thousand voices
Out of the shrubbery

And joy, and joy
From each breast.
O earth, o sun,
O joy o lust!

O love, o love!
As golden, as beautiful
As the morning clouds
On those heights

You bless gloriously
The fresh field
The blossoms' steam
The bountiful world.

O girl, girl,
How I love you!
Your eyes gaze!
How you love me!

This is the way the lark loves
Song and air
And morning flowers,
The smell of heaven.

How much I love you,
My blood warmed
By you, for me, a youth,
And joy and courage

For new songs
And dances.
May you be happy eternally,
As long as you love me.

May Song ist von Lucy Beynon und Lisa Jeschke. Und Goethe natürlich. Es ist eine fast wörtliche Übersetzung, mit Akzenten. Gut geeignet um die Möglichkeiten der Sprachen zu betrachten, und die Akzente der AutorInnen.

Aus: Lisa Jeschke: Die Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen. hochroth München 2019, S. 21

Lisa Jeschke, geboren 1958, lebt nach längerem Aufenthalt in Großbritannien seit 2016 in München.

Johann Wolfgang Goethe

Mayfest.*

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus iedem Zweig,
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch,

Und Freud und Wonne
Aus ieder Brust.
O Erd o Sonne
O Glück o Lust!

O Lieb’ o Liebe,
So golden schön,
Wie Morgenwolken
Auf ienen Höhn;

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.

O Mädchen Mädchen,
Wie lieb’ ich dich!
Wie blinkt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmels Duft,

Wie ich dich liebe
Mit warmen Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud und Muth

Zu neuen Liedern,
Und Tänzen giebst!
Sey ewig glücklich
Wie du mich liebst!

*) später Mailied

Ihr dummen Kerle

509 Wörter, 3 Minuten Lesezeit (inclusive des spanischen Originaltexts)

Sor Juana Inés de la Cruz 

( * 12. November 1648 in San Miguel Nepantla, heute Mexiko; † 17. April 1695 in Mexiko-Stadt)

Ihr dummen Kerle, die ihr Frauen 
grundlos anklagt, ohne zu sehen,
dass ihr selbst die Ursache seid
für das, was ihr ihnen unterstellt,

in eurem zügellosen Verlangen
erwartet ihr noch, dass sie sich zieren,
was schert euch denn die Moral,
wenn ihr zum Gegenteil anstiftet.

Ihr zwingt ihren Widerstand nieder
und gebt euch dann ernsthaft empört,
werft ihr Leichtfertigkeit vor, der Frau,
die eurem lüsternen Drängen nachgibt.

Euer vermeintlicher Mut ist so albern
und gleicht dem Mut eines Kinds,
das sich ein Gespenst ausdenkt,
vor dem es eines Tags dann erschrickt.

Deutsche Version von Christoph W. Bauer, in manuskripte. Zeitschrift für Literatur 249/2025, S. 185f

Das ist nur ein Auszug – die ersten 4 Strophen – des folgenden Gedichts. Die Zeitschrift bringt Auszüge aus verschiedenen Gedichten in einem Aufsatz des Übersetzers sowie Fortschreibungen von Sabine Gruber, Ariane von Graffenried, Jan Koneffke, Dieter Zwicky, Frieda Paris, Timo Brandt, Nika Pfeifer und Arne Rautenberg innerhalb der Reihe Dichter*in im Fokus.

Letra de Hombres Necios Que Acusáis

Hombres necios que acusáis
a la mujer sin razón,
sin ver que sois la ocasión
de lo mismo que culpáis.

Si con ansia sin igual
solicitáis su desdén,
¿por qué queréis que obren bien
si las incitáis al mal?

Combatís su resistencia
y luego con gravedad
decís que fue liviandad
lo que hizo la diligencia.

Parecer quiere el denuedo
de vuestro parecer loco
al niño que pone el coco
y luego le tiene miedo.

Queréis con presunción necia
hallar a la que buscáis,
para pretendida, Tais,
y en la posesión, Lucrecia.

¿Qué humor puede ser más raro
que el que, falto de consejo,
él mismo empaña el espejo
y siente que no esté claro?
Con el favor y el desdén
tenéis condición igual,
quejándoos, si os tratan mal,
burlándoos, si os quieren bien.

Opinión ninguna gana,
pues la que más se recata,
si no os admite, es ingrata,
y si os admite, es liviana.

Siempre tan necios andáis
que con desigual nivel
a una culpáis por cruel
y a otra por fácil culpáis.

¿Pues cómo ha de estar templada
la que vuestro amor pretende,
si la que es ingrata ofende
y la que es fácil enfada?

Mas entre el enfado y pena
que vuestro gusto refiere,
bien haya la que no os quiere
y queja enhorabuena.

Dan vuestras amantes penas
a sus libertades alas
y después de hacerlas malas
las queréis hallar muy buenas.
¿Cuál mayor culpa ha tenido
en una pasión errada:
la que cae de rogada
o el que ruega de caído?

¿O cuál es más de culpar,
aunque cualquiera mal haga:
la que peca por la paga
o el que paga por pecar?

¿Pues para qué os espantáis
de la culpa que tenéis?
Queredlas cual las hacéis
o hacedlas cual las buscáis.

Dejad de solicitar
y después con más razón
acusaréis la afición
de la que os fuere a rogar.

Bien con muchas armas fundo
que lidia vuestra arrogancia,
pues en promesa e instancia
juntáis diablo, carne y mundo.