Michael Hamburger 100

Michael Hamburger, der heute vor 100 Jahren in Berlin geboren wurde, entkam den Deutschen rechtzeitig und wurde ein englischer Dichter und Übersetzer.

Michael Hamburger

(* 22. März 1924 in Berlin-Charlottenburg; † 7. Juni 2007 in Middleton, Suffolk, England) 

Indivisible

Do the dead know nothing, remember nothing?
The eyes of my dead meet mine
Or, merged in them, look at the oak I planted,
Grown taller than I, and look
Into the living eyes
That were my children's, but now
Into their children's look, seeing themselves
Or, beyond themselves,
Features, lines no horizon frames.

Though with dying eyes I look
At the garden that outgrows me,
At the rooms full of things unfinished,
Things done with, things half-rotten,
Still I must love the breath, flesh, fibre tended,
Growth not for me, the seedling's, and growth ended,
Skeleton left unfelled of the ash-tree that spilled oil
killed -
And shall till the last of the life in me's expended,

While time with its numbers crumbles in my head.
Oh, and the very words, ›living‹, ›dead‹
Belong to a language dead as Latin learned and forgotten
Which, somewhere, still is alive,
Lived in, loved, shaped by a tongue that tastes it -
And the very word ›I‹,
Frame of a half-lie bequeathed me,
Melts in this light, nightfall's or dawn's.
Untrennbar

Wissen Tote nichts, erinnern sie nichts?
Die Augen meiner Toten finden meine
Oder, in sie gemischt, sehen die Eiche, die ich pflanzte,
Mich überragt, und sehen
In die lebendigen Augen
Die meinen Kindern gehörten, die jetzt
Die der eigenen sehen, sich darin sehen
Oder, hinaus über sich,
Zeichnungen, Linien, die kein Horizont rahmt.

Wenn auch mit sterbenden Augen ich sehe
Den Garten, der mir entwächst,
Die Zimmer voll unfertiger Dinge,
Verworfener, halbverdorbener Dinge,
Muß ich sie lieben, meine Zöglinge, aus Atem, Gewebe und
Blut,
Wachstum das nicht mir gilt, eines Sämlings, und Wuchs
der ruht,
Den ungefällten Knochenmann der Esche, die ein Ölfleck
tötete
Und zu lieben bis zuletzt ist mir zumut,

Während Zeit mit ihren Zahlen in meinem Kopf
zerstiebt.
Ach, die Wörter selber, „tot", „lebendig"
Gehören einer toten Sprache wie Latein, erlernt,
vergessen
Die, irgendwo, noch lebt,
Erlebt, geliebt, geformt wird von einer Zunge die sie
schmeckt –
Und sogar das Wort „ich",
Ein mir vererbtes Lügengebäude,
Schmilzt in diesem Spät- oder Frühlicht.

Deutsch von Peter Waterhouse, aus: Jahrbuch der Lyrik 1999/2000, München: Beck, 1999

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