Inflation

30. Jubiläum des Slamgedichts „INFLATION“ (Mehr weiter unten)

Tom [de] Toys, 26.12.1993

INFLATION

und wieder ein gedicht
und wieder ein gedicht
und deinen lieben gott
den gibt es nicht
und wieder ein gedicht
und wieder ein gedicht
und deine seele kannst du
lange suchen
ja ich schreibe wieder
schreibe schreibe
schreibe wieder
noch eins noch eins
und noch ein gedicht
wer weint fällt
durch das geldgeschiebe
ach daß mich nichts hält
an diesem leben
bleibt im krankenordner kleben
alles sah und schrieb er auf
die wiederholung nahm so ihren lauf
und falls sich irgendwann
mal irgendwer
klammheimlich fragt
was wollte der
wiegt schon die sehnsucht
tausend bücher schwer
ach lang ists her
und immer dasselbe
künstler hatten wir genug
gegen das schwarzrotgelbe
im ei kannst du nichts machen
sie müssen dich verlachen
und rühren den brei
und führen den betrug
aus
bis ans aus bis ans
aus aus aus
laßt mich hier raus
das ende schmeckt bitter
der deutsche gewöhnt sich
an jedes gewitter
die kunst ist nicht tot
nein die kunst gabs noch nie
meine arbeit ist getan
ich kann mich besaufen
die kunst als unnützer scherz
lernt nie wirklich laufen
schön darf sie sein
dann will sie jeder kaufen
ja schön ja schön ja
schön schön schön
nur nichts bedeuten
was hinter dem schein
der spiegel spiegel
an der wand
verrät des dichters schnelle hand
könnte hilfe hoffnung
und heilung einläuten
aber nicht bei der masse
und nicht in diesem land
oh wie ich sie hasse
die dummheit läßt sich nicht häuten
hier wie überall
verläuft alles im sand
und der sand im getriebe
wird gut geschmiert
oder im museum gehäuft
der alltag gewinnt
der künstler verliert
statt liebe nur hiebe
und über diese welt
kann jeder fluchen
aber sich verpissen
das kann letztlich keiner
denn der himmel ist nicht blau
und engel nicht weiß
ich schreibe ein gedicht
über diesen affenscheiß
und noch ein gedicht
und noch ein gedicht
denn keiner wird gescheiter
bloß die spalte immer breiter
ich schreibe immer weiter
wer glaubt noch an das große licht
und durch den harnleiter
schreit mein echtes gesicht
das paradies hat erdengewicht
und die erde die ist grau
mir ist im bauch so flau
und in der birne tausend hirne
drum schreib ich noch eins
noch eins und noch eins
weiter weiter immer weiter
bis meine geduld gerissen
mein blut voller eiter
und das herz verschlissen
mein mund ist schon lange
ein scheiterhaufen
und trotzdem sieht keiner
in den bildern den schmerz
ich sage dir heute
wie gestern spiel mit
oder flieh
flieh
flieh
das rückgrat bricht
nicht
die wirbel werden
langsam aber sicher
weich wie die
knie
und kopf hoch
junge
und
danke

JUBILÄUMSSEITE FÜR DIE „INFLATION“ MIT KOMPLETTER DOKU & HINTERGRUND @ WWW.POETRYCLIP.DE = https://quantenlyrik.jimdofree.com/live/2023/

WIEDERVERÖFFENTLICHUNG DER „INFLATION“ IM GEDICHTBAND „AM ENDE LIEGEN ALLE FEINDE NEBENEINANDER“ @ WWW.GRABLYRIK.DE (Playlist des Buches mit ausgewählten Rezitationen des Autors)

[De] Toys, Dec. 26, 1993
(adaptation May 16-17, 2022)

INFLATION

another poem and
another poetic line
i tell you the truth
there is nothing divine
another poem and
another poetic line
but searching your soul
will be never fine
yeah i do write again
and again and again
i write again one
poem more and
more one more
who cries will fall thru
smuggling cracks
oh there is nothing
to keep me alive
in the sick folder
he saw and wrote
down everything
the repetition took
by that its course
and if at some point
somebody secretly
asks what did he want
the longing weighs
a thousand books
oh well it's long ago
and always the same
enough artists have been
against the german flag
but nothing works by
sitting in the egg
they laugh at you
and stir the porridge
the scam they carry out
until the end until the
end is off off off let me
out of the bounds
the ending tastes bitter
the german gets used
to every rain shower
i tell you art isn't dead
but art has no power
so my work is done i'm
allowed to get drunk
art as an useless joke
never learns the funk
to be beautiful means
everyone pays the price
just nice so nice just
nice nice nice without
any meaning behind
the mirage the mirror
mirror on the wall
betrays the poet's
very fast finger
establishing healing
help and hope but
not in the crowd and
not in this country
oh i hate them so much
stupidity cannot be
skinned everywhere every-
thing comes to no end but
the sand in the gears is
running like clockwork
or piled in a museum
everyday life is a winner
the artist a loser gets
spanking instead of
thanking it's easy to
curse about the world
but no one can fuck
off in the very end as
the sky is not blue and
angels not white i do
write a poem about
that bunch of shit
and another poem and
another poetic line
nobody turns clever
just the crack gets
wider as ever i keep
writing who believes
still in the greatest light
and through the ureter
my real face screams
it's right that paradise
got the weight of earth
the planet is coloured grey
i feel so queasy in my belly
a thousand brains in my skull
so i write one more and
some more and some more
and more and more
until my patience is gone
my blood full of pus
and my heart worn out
my mouth has been a
pyre for a very long time
and yet nobody sees
the pain in the pictures
i tell you today play
along like yesterday
or flee
flee flee
the backbone does not
break the vertebrae
slowly but surely
become soft like
knees so
cheer up boy
and
thanx
POP AM RHEIN 2007:
De Toys @ studio672
(im Stadtgarten Köln)
RÜTLI
c) R.Ploenes
"INFLATION"(1993)

G&GN-INSTITUT, Düsseldorf im Dezember 2023 / Im Jahre 1993, also bereits 1 Jahr vor den ersten Poetryslams auf deutschem Boden, fanden deren Vorläufer, sogenannte Open Mics (kurz definiert: spontane Slams ohne Wettbewerb), im Rahmen der SocialBeat-Bewegung statt. Der damals 25-jährige Tom [de] Toys (bis 1996 eigentlich nur Tom Toys ohne „de“) wohnte zu jener Zeit in Köln, wo er bis zu 3x monatlich in Kneipen, Cafés (z.B. im „Fleur“), Galerien (z.B. „arting“), Schulen (z.B. „Ursulinengymnasium“) oder auf Vernissagen und anderen Events der freien Kunstszene (z.B. „68elf“ & „Ultimate Akademie“) seine expressiven Lyrik- und Lochperformances absolvierte und täglich bis zu 3 Gedichte schrieb. Diese extrem produktive Schaffensphase kulminierte am Morgen des 26. Dezembers 1993 in der schnellen Niederschrift des Gedichts „INFLATION“, das schon am selben Abend seine Live-Uraufführung im legendären Jazzcafé STORCH erfuhr, wo De Toys mithilfe eines Tagestipps der StadtRevue zu seiner „Seinspoesie“-Lesung eingeladen hatte. Am 1. Mai 1994 rezitierte er den Text dann bei einer Open Air Veranstaltung am Kölner „Tanzbrunnen“, die Klaus der Geiger ins Leben gerufen hatte. Dadurch kam es zur Begegnung mit dem ersten Trompeter der Düsseldorfer Band „Heavy Gummi“, was zur Gründung des Duos „Das Rilke Radikal“ führte (siehe Konzert-Playlist @ www.PoesiePerformance.de). Im Rahmen des Projekts „POP AM RHEIN“ des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Instituts erfolgte 2007 die dritte und bislang letzte Aufführung in Köln, diesmal im Kellerclub „studio 672“ des Stadtgarten-Cafés. Anlässlich des diesjährigen 30. Jubiläums „eines der ersten slamtauglichen deutschen Gedichte“ produzierte De Toys bereits 2022 einen bilingualen POWER POINT POETRYCLIP (Deutsch: www.lyrikperformance.de & Englisch: www.slam2023.de) mit seiner eigenen freien Übersetzung ins Englische, die bislang noch nicht live aufgeführt wurde. Vorstehend das deutsche Original und des Dichters Übertragung.

1 Comments on “Inflation

  1. Das Gedicht könnte in all seiner Tragik (nicht ganz das richtige Wort) bis zur Globusumspannung fortgesetzt werden….

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