ach es ist alles zuschanden

Heute vor zehn Jahren starb die Dichterin Helga M. Novak. Hier ein Gedicht aus dem 2013, im Jahr ihres Todes, bei Hochroth Paris erschienenen Band chaque pierre orpheline, der eine Auswahl ihrer Gedichte im Original und mit Übersetzungen ins Französische enthält. Die ersten vier Zeilen dieses Gedichts tauchen auch in ihrem autobiografischen text Vogel federlos auf, hart überblendet mit Geschichten aus den frühen 50er Jahren in Ostdeutschland.

Helga M. Novak 

(Isländischer Name ab 1966: Maria Karlsdottir; * 8. September 1935 in Berlin-Köpenick; † 24. Dezember 2013 in Rüdersdorf bei Berlin)

Sommerzeit

Sommerzeit
die Hähne schrein zur selben Zeit
Winterzeit
die Sauen schrein zur selben Zeit
ach es ist alles zuschanden
die Freiheit die ich habe
ist keine
ich werde verrückt
weil ich es bin
und ich werde rasend
von meinen Rasereien
ach es ist alles zuschanden
Sommerzeit
ich werde den Mund nochmal vollnehmen
Winterzeit
den Mund voller Sand
warum entdeckt denn keiner
die Schönheit meines Verfalls?
heure d'été

heure d'été
heure du cri des coqs
heure d'hiver
heure du cri des truies
hélas tout est gâché
la liberté qui est mienne
n'en est pas une
ça me rend folle
parce que je le suis
et ça me rend furieuse
toutes ces fureurs que j'ai
hélas tout est gâché
heure d'été
je vais encore ouvrir la gueule
heure d'hiver
la gueule pleine de sable
pourquoi donc nul ne découvre
la beauté de ma déchéance ?

Aus dem Deutschen ins Französische übersetzt von Élisabeth Willenz, aus: Helga M. Novak: chaque pierre orpheline. hochroth Paris 2013, S. 12. Die Anthologie wurde zusammengestellt von Dagmara Kraus, die Gedichte stammen aus dem Band solange noch Liebesbriefe eintreffen, Schöffling 1997, 1999, 2005.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..