Zum Tage

Der Todestag der führenden jiddischen Schriftsteller? Der ist gar einfach zu behalten, bitte:

  • David Bergelsson – 1884 – 12.08.1952
  • David Hofstein – 1889 – 12.08.1952
  • Lejb Kwitko – 1890 – 12.08.1952
  • Perez Markisch – 1895 – 12.08.1952
  • Itzik Fefer – 1900 – 12.08.1952
    Lev Berinski (Mehr)

“Nacht der ermordeten Dichter” – das ist keine flammende Metapher aus einem Requiem, sondern ein trockener Begriff in der jiddischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Und nicht nur diese fünf Hervorragenden wurden jene Nacht auf der Moskauer Lubjanka, in der schrecklichen KGB-Residenz, weißerschossen, und nicht nur am 12. August 1952, als zusammen mit diesen weltbekannten Schriftstellern auch der Literat Schmuel Persow seinen Tod fand. Etwas früher oder später wurden ermordet oder starben in Gefängnissen der große Prosaiker Der Nister (1884-1950); die Literaturwissenschaftler E. Spiwak (1890-1950) und Izhak Nusinow (1889-1951), der Dramatiker und theaterkundige Jeheskel Dobruschin (1883-1953), und allen voran – der in einer inszenierten Autohavarie getötete geniale Schauspieler Schlojme Michoels (1890-1948).

„Vor vierzig Jahren starb ein ganzes Reich der Kultur, als mit Genickschuß niedergestreckt wurden der 1900 in der Ukraine geborene Itzik Fefer, der ein Jahr ältere, ebenfalls aus der Ukraine stammende David Hofstein, der Dichter und Romancier aus Rußland Lejb Kwitko (geboren 1890), der 1895 in Wolhynien zur Welt gekommene Erzähler und Dramatiker Peretz Markisch und David Bergelson, Verfasser eines Dramas mit dem Titel „Mir.wiln lebn“ (Wir wollen leben), der an seinem 68. Geburtstag sterben mußte. Mit ihnen wurden in jener Nacht hingerichtet: mindestens neun andere Intellektuelle der sowjetjüdischen Kultur, Übersetzer(innen), Theaterleute, Ärzte. Auf dem von Stalin zu verantwortenden Totenschein stehen in drei Jahrzehnten die Namen von 238 jüdischen Schriftstellern, 106 Schauspielern, 87 Malern oder Bildhauern, 19 Musikern.

Wer zählt die Namenlosen? Deshalb sollten wir am 12. August, einem Trauertag der Literatur, auch an die Millionen Toten jiddischer Sprache denken, die das Feindespaar Hitler/Stalin in mörderischem Einvernehmen umgebracht hat. Vor dem Krieg sprachen in aller Welt mehr als zwölf Millionen Menschen die „Nah“- oder „Neben-Sprache des Deutschen“, wie die Sprachwissenschaftler das Jiddische nennen.“ (Rolf Michaelis, Die Zeit 14. August 1992)

Schon 15 Jahre zuvor gab es eine ähnliche Aktion gegen jüdische Intellektuelle aus Weißrußland, der unter Dutzenden Schriftstellern und anderen Persönlichkeiten auch der Schriftsteller Mosche Kulbak zum Opfer fiel. Die deutsche Wikipedia sagt: „Er starb 1940 in einem sibirischen Arbeitslager des GULAG.“ Die russische: Er wurde Ende Oktober 1937 als Volksfeind verurteilt und erschossen. Also sehen wir nach:

Polnische Wiki: „Während der Großen Säuberung wurde er 1937 Opfer stalinistischer Repressionen und nach seiner Verhaftung durch den NKWD wegen konterrevolutionärer Aktivitäten als „polnischer Spion“ inhaftiert. Erst aus den Unterlagen, die seine Tochter Raja 1989 erhielt, ging hervor, dass er am 29. Oktober 1937 erschossen wurde. Sein Körper ruht wahrscheinlich im Massengrab der Opfer des stalinistischen Terrors in Kuropatów (dem heutigen Vorort von Minsk). Im Dezember 1956 wurde er rehabilitiert: „ohne Grund für schuldig befunden“-“

Die weißrussische: „Er wurde 11. September verhaftet, … am 28. Oktober 1937 als „Mitglied der konterrevolutionären trotzkistischen Terrororganisation“ und wegen „Verbindung mit den polnischen Geheimdiensten“ zur Todesstrafe und Einziehung des Eigentums verurteilt. Er wurde in der Nacht von 29. zum 30. Oktober erschossen. Rehabilitiert durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR am 15. Dezember 1956.“

Hier ein Gedicht von ihm in der Übersetzung von Hubert Witt.

Verwandlung

Was ist Sterben, wenn wir sterben,
s ist ein Spiel mit bunten Scherben,
tauschbereit:
Freud für Grämen
im Leben –
s ist ein Nehmen
und Geben
in der Zeit.

Aus: Der Fiedler vom Getto. Jiddische Gedichte aus Polen. Leipzig: Reclam, 5. veränd. Aufl. 1993, S. 98

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