Lyrik wäscht sich nicht

Das neue Heft der in Prenzlauer Berg herausgegebenen Zeitschrift „Abwärts!“ nimmt die lockere Scheck-Bemerkung* zum Anlass für einen Generalangriff auf diese Kultur und wählt dafür das Leitmotiv: „Lyrik wäscht sich nicht“. Freunde und Mitarbeiter der Zeitschrift waren gebeten worden, zu der Frage Stellung zu nehmen, wie hygienisch Dichter und Gedichte sein sollen.

Das beigefügte Postscriptum stammt von Bertolt Brecht: „Waschen verdirbt das Talent“. Es entspricht der umwegigen Herangehensweise der Zeitschrift, dass sie ihr Thema auch jetzt nicht mit gängigen Etiketten versieht und damit leichter schematisierbar macht. Und doch tritt die Art selbstbewusste Marginalität, mit der ein nicht westdeutsch sozialisiertes Milieu auf den gesamtdeutschen Mainstream blickt, da deutlicher akzentuiert hervor, als man es seit langem gewohnt ist.

„Krank bin ich und ungewaschen / Oft lieg ich besoffen im Eck / Nur Kupfer und Dreck in den Taschen / Mein Herz ist ein Hassversteck“: So beginnt ein Gedicht des 1950 in Stendal geborenen Autors und Regisseurs Jörg-Michael Koerbl und schlägt dabei von vornherein den anti-optimistischen, anti-coolen Ton an, der das ganze Heft prägt. (…)

Und der 1966 in Karl-Marx-Stadt geborene Lyriker Jan Kuhlbrodt schlägt vor, dem „neuen Biedermeier“, das er für die Literatur der Bundesrepublik konstatiert, ein neues Barock mit einem „unreinen Konzeptionalismus“ folgen zu lassen: „Wie wenn maneinen halbverrotteten Zweig vom Komposthaufen abhebt und des Gewimmels gewahr wird, das darunter neues Leben verheißt“.

All das ist für „Abwärts!“ höchst programmatisch. Personell und ideell behauptet die Zeitschrift mit dem kargen, auf billigem Papier gedruckten Anti-Design eine direkte Kontinuität zum Beginn der neunziger Jahre, als der Ost-Berliner Dichter Bert Papenfuß die Zeitschrift „Sklaven“ gründete (F.A.Z. vom 19. Februar 1997), die sich nach internen Streitigkeiten in die „Sklaven“ und den „Sklavenaufstand“ aufspaltete und ihr „Kommissariat“ in der gleichfalls von Papenfuß und anderen geführten Kneipe „Torpedokäfer“ hatte. Die Namen sowohl der Kneipe wie der Zeitschrift gehen auf den Dadaisten, Spartakisten und Lebenskünstler Franz Jung (1888 bis 1963) zurück, dessen „aktive Apathie“ (Fritz Mierau) sich die Redakteure zum Vorbild erkoren. Das Umfeld blieb, die Namen wechselten: Auf die „Sklaven“ folgte die Zeitschrift „Gegner“, aus dieser ging im März 2014 „Abwärts!“ hervor (…) In einem programmatischen Text heißt es: „Seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts glaubt sich die westliche Welt in der Offensive, aber (. . .) sie ist nur übriggeblieben und überfällig.“ In einem Wort: „Es geht abwärts“. / Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 6.9.

*) Denis Scheck, anläßlich der Nominierung Jan Wagners für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015: „Jan Wagner schreibt wunderbare Gedichte über so gegensätzliche Themen wie den Giersch im Garten oder Koalabären, außerdem besitzt er perfekte Umgangsformen und nutzt sein Dichtertum nicht als Ausrede für schlechtes Benehmen und mangelnde Körperhygiene. Was kann man von einem Lyriker mehr erwarten?“ (Quelle)

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