5. Blank Generation

Generationen sind viele im Umlauf, auch das Label „Blank Generation“ gibts schon, aber jetzt hat Matthias Hagedorn es im Blog auf jetzt.de auf die Gegenwartslyrik angewandt. (Jedenfalls kenne ich hier keine älteren Referenzen – lasse mich gerne unterrichten.) In einem längeren Essay, der verdient, gelesen und diskutiert zu werden, macht er sie hier aus:

Entgegen der Gewohnheit von Künstlern, sich als „Gruppe“ zu definieren, ein „Generationenprojekt“ ausrufen zu müssen und ein „Manifest“ zu proklamieren, vergaß die „blank generation“ (benannt nach einem Song von Richard Hell) jegliches kuratorische Wissen und öffnete sich neuen Lösungen. Was dabei herauskommt ist u.a. nachzulesen in der von Peter Ettl herausgegebenen Anthologie »Die inneren Fernen«. Obwohl unter den Zeltschrägen einer gemeinsamen Edition bilden die Lyriker der „blank generation“ keine einheitliche Gruppe. Es gibt keinen gemeinsamen arspoeticagleichen Ansatzpunkt als den, Literatur anders einzuordnen, um schließlich eine Art literaturkritischer Mutation hervorzuzaubern. Eben durch die Verschiedenheit der Gedichte, durch die Unvereinbarkeit der gezielten Darlegungen und dank dieser Inkompatibilität werden die Autoren selbst zum Sinnbild der gegenwärtigen Lage der kulturellen Gesellschaft. Die Lyrik ist nie homogen, sie resultiert aus zahlreichen Stimmen und Stilen, die manchmal Berührungspunkte aufweisen, manchmal aber auch nicht.

Die Autoren, über die er unter dieser Überschrift schreibt: Matthias Kehle, Axel Kutsch, Theo Breuer, Peter Ettl, Wolf Doley, Holger Benkel, Francisca Ricinski, Peter Engstler, Stephanie Neuhaus, A.J. Weigoni. Nicht zu früh stirnrunzeln oder wegklicken! Es sind sämtlich Autoren abseits der Zentren, sie erfreuen sich nicht übertriebener Aufmerksamkeit der Kritik, vorsichtig gesagt, sie kommen in mehrfacher Hinsicht „aus dem Hinterland“:

Es fällt auf, daß manche lyrische Innovationen der letzten Jahre aus dem Hinterland kommen, ob aus der Edition YE Sistig in der Eifel, der Landpresse in Weilerswist, der Edition Das Labor aus Bad Mülheim oder der Silver Horse Edition aus Marklkofen, ob Peripherie Zentrum oder Zentrum Peripherie ist, entscheiden die interessierten Leserinnen und Leser mit jedem neuen Gedichtband neu.

Über Holger Benkel schreibt Hagedorn:

Wie schon in dem Band „kindheit und kadaver“ verfügt Holger Benkel aus Schönebeck (bei Magdeburg) auch in seinem Band »meißelbrut und andere gedichte« über kulturelle Deutungsmuster und Übersetzungsmöglichkeiten, die anderen fehlen. Für diesen Lyriker leuchtet die Devise einer abfallgeplagten Epoche auch als Lebensdevise ein. Seine Biographie erscheint als Zwischenexistenz, als interkulturelle Existenz, aber sie dient ihm der produktiven Herausforderung und nicht irgendeiner ‚Verostung‘. Für jemanden, der auf dem Land zu Hause ist und der die Welt der Arbeit ganz genau kennt, der Schreibkrisen hinter sich hat und erst spät entdeckt wurde, scheint das Bild des Außenseiters wie geschaffen. Kein Buch ist für Autoren riskanter als eines, das Gefahr läuft, zu hastig gelesen zu werden. Die Gedichte von denen hier die Rede ist, behandeln einen großen, weitläufigen und einschüchternden Gegenstand, da kann Eile alles vernichten. Sorglichkeit, scheint mir, hat Benkels Umgang mit der Sprache geprägt. Das einzelne Wort, und sei es das harmloseste, besitzt bei ihm einen eigenen Wert, ist unersetzlich und kostbar. So kam er mit immer weniger Sätzen aus, und sie hatten ein immer größeres Gewicht. Der Glanz, der unvergleichliche Klang seiner Gedichte nährt sich aus dieser Ehrfurcht vor dem einfachen Wort. Seine Gedichte kreisen oft in parabolischer Form um den Tod. Bei Holger Benkel sind Selbstwahrnehmung und öffentliches Rollenklischee schon früh miteinander verschmolzen. Jeder Dichter scheint eine ihm eigene Welt zu bewohnen mit einem ihm eigenen Mobiliar, seiner Poesie. Das Typische an der Poesie von Holger Benkel liegt im eigenen Klang. Seine Gedichte verlangen nach einer alle Sinne mit einbeziehenden Lektüre, um in ihrem vollen Gehalt erfasst zu werden; sie erfordern Respekt und Ruhe. Der Magdeburger Börde, in der er geboren wurde, hält er bis heute die Treue.

Für mich fast kurios, daß meine Lyrikzeitung in einem Aufsatz zu diesem Thema vorkommt. Aber es ist doch nicht allzu abwegig, ist es doch erklärtes Ziel meiner Sammelwut, nicht „die eine“ Szene zu dokumentieren, sondern möglichst viele (wenn auch keineswegs all und jede). Ebenso erscheint Andreas Heidtmanns Poetenladen als ein Ort, diesen (neuen?) Regionalismus mitzuorganisieren, die Nachbarschaft ist mir recht. Hagedorn über Heidtmann:

Als Herausgeber scheint er eine Art Universalpoesie im Sinn zu haben. Der Poetenladen soll weder in den Klappkasten der schöngeistigen noch der engagierten Literatur passen, hier spiegelt sich die deutschsprachige Gegenwartspoesie in all ihren Facetten und Spielarten. Nimmt man ergänzend den von Shafiq Naz edierten Lyrikkalender dazu, stellt man fest, daß wir in geistig in guten Zeiten leben, so aufregend war deutsche Lyrik seit dem Barock nicht mehr.

Shall we have a discussion?

1 Comments on “5. Blank Generation

  1. Es gibt ja das schöne Wort von der »zentralen Randlage«. Dies scheint doch für uns* alle zu gelten.
    [Falls so ein »uns« für uns gilt.]
    Schön, mal wieder Holger Benkel erwähnt zu sehen.

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