151. Kurt Leonhard

Kurt Leonhard, der vor 100 Jahren geborene Esslinger Kunstwissenschaftler, Lyriker und Übersetzer, war kein Napoleon des Geistes. Er saß weder auf dem überheblich hohen Gedankenross noch auf einem ordentlichen Lehrstuhl, sondern gab – unter anderem – Volkshochschulkurse. Schopenhauer, der Denker des Nichts, stand ihm näher als der philosophische Spekulant Hegel. …

Das Heilige war Leonhard, dem erklärten Agnostiker, eine zutiefst vertraute Kategorie. Als Autor eines maßstäblichen Buchs über Dantes „Göttliche Komödie“ war ihm der Gedanke einer Transzendierung der menschlichen Existenz nahe, einer Transzendierung freilich, die sich nicht mehr in religiö­ser Heilsgewissheit, sondern allenfalls noch in künstlerischen Grenzüberschreitungen eine Form gibt.

Solche Offenheit für das Transzendente, das ganz Andere blitzt nicht zuletzt in der Lyrik Leonhards auf, einem eigenständigen Oeuvre, das der Autor wie geheime Notate lange Zeit im Verborgenen hielt (eine Auswahl gab Friedhelm Röttger 1997 unter dem Titel „Leuchtfische“ im Bechtle Verlag heraus). Als „Nachdichter“ und „Sekundärliterat“ pflegte sich Leonhard in einer Mischung aus Bescheidenheit und der ihm eigenen Ironie zu apostrophieren – dem eigenen Werk nicht gerecht werdend und doch einen zentralen Aspekt seines Wirkens unterstreichend: Als Vermittler, namentlich in der Position des Lektors beim Esslinger Bechtle Verlag, prägte er in den 50er-Jahren das hoch ambitionierte Programm des Hauses und hörte das Gras literarischer Innovation wachsen. Die damals noch unbekannten Namen, die er bei Bechtle zur Ehre der Buchaltäre erhob, lesen sich heute fast wie eine Enzyklopädie der deutschen Literatur jener Zeit: Helmut Heißenbüttel, Peter Härtling, Heinz ­Piontek und Johannes Poethen sind nur einige von ihnen. / Martin Mezger, Eßlinger Zeitung 30.1.

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