65. Gomringer gewinnt

Die diesjährige Preisträgerin des Cuxhavener Ringelnatz-Preises für Lyrik, Nora Gomringer, hat ein in der Literaturszene viel beachtetes Gedicht zu Auschwitz geschrieben. Das Thema ‚hört nicht auf, die Welt ist voller Diskriminierung‘, sagte die 32-jährige Dichterin aus dem oberfränkischen Bamberg in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Gedicht unter dem Titel ‚Und es war ein Tag’* erschien 2006 und ist für die Cuxhavener Preisjury ein Grund, Gomringer an diesem Samstag, den 22. April, den mit 15000 Euro dotierten Ringelnatz-Preis zu übergeben. / Süddeutsche Zeitung

* hier von der Autorin gesprochen

18 Comments on “65. Gomringer gewinnt

  1. was hier kritisch zu preisträgerin und gedicht angemerkt wird, ist zwar deutlich, hart, jedoch läßt sich das, was dazu bzw. dagegen zu sagen wäre immer noch ergänzen und weiterführen, (selbst wenn es jemandem in der position und alter nicht mehr gesagt werden müssen sollte) … wie auch wie solche phänomene (da glauben, gerade in solchen fällen, die ausgezeichneten und namensträger, sie seien in erster linie protagonisten und nicht bestandteil einer manöviermasse bzw. mittel zum zweck und je nachdem wechselbares dekor) zustande kommen, sich auswirken und potentieren.

    im falle o.g. plädiere ich zur unterzeichnung ihrer lit. leistungen die abkürzung no. gommringer zu verwenden und für das gedicht no. go.
    aber wenn jurys und verleiher, nicht zuletzt das feuilleton, schon so geil sind, (sich ungewollt aus dem fenster zu lehnen, wenn sie) sich damit auf dem rathaus balkon präsentieren und feiern lassen, dann machen sie sich einer bestimmten ethisch-intellektuellen (wenn auch sich durchweg nobel und engagiert aufassenden) zuhälterei schuldig, die sich wiederum gesinnungsprostitutionsfördernd auswirkt und bis in die stilistische kosmetik (egal, ob mit mittelmäßigem können und geschmack aufgedonnert und aufreizend im normalfall des no-gommringschen gedichts oder betroffen an- & ausgemalt im falle des mit einigem abstand zur verkündung des preises zur begründung & aufwertung mit herangezogenen und an die glocke gehängten auschwitz-textes) niederschlägt.

    und noch ein sprung tiefer ins abseits: ich fragte mich bereits einige jahre früher, wer hätte, hätte der titel eines (noch so guten, originellen, überzeugenden, d.h. neutral und formal alle ausschließlich literarischen voraussetzungen gleichermaßen erfüllenden) bandes/bändchens
    „pieronje, ich habe schnaps gekauft“ gelautet, diesen mit einem bed. preis ausgezeichnet … und im eben dem sanktionieren solcher moralisch-intellektuellen windkanäle – die auch schon selbstverstädnis, thematik und problematik wie auch vorgehensweise der autoren über jahre & jahrzehnte hinweg generieren und bestimmen – liegt für mich das problem.

    ich denke auch daran: wie würde es mir gehen; wie würde ich mich fühlen, würde man mich so behandeln, titulieren usw., mich solchen vorwürfen aussetzen? und somit, abgesehen davon, dass ich auch gelegentlich andere deutliche worte und zurücksetzungen zu ertragen hatte und verkraften, für die dann allerdings nicht so schnell verteidigerInnen in die bresche springen, weiß ich, es ist hart, auch destruktiv, und manche könnten daran auch kaputt gehen … und trotzdem kommt es mir jetzt nicht, etwas zurückzunehmen, abzuschwächen, die metonymisch verwendeten begriffe durch weniger aneckende (und mich weniger exponierende) zu erstzen … und es ist womöglich oder wahrscheinlich insoweit auch ab einem punkt ungerecht, ab dem es nicht nur der person ohnehin schon über den kopf wächst, sondern zum beispielhaften fall mit eigener dynamik wird, für den der/die betreffende allein, nur noch bedingt wenn überhaupt verwantwortung trägt .

    das ist der hauptgrund, weshalb ich es trotzdem so stehen lasse, obwohl mir, ab einem gewissen punkt von analyse und auch spott, dabei nicht mehr wohl ist , (ich selber von solche zeilen ordentlich getroffen wäre und tage bräuchte darüber hinwegzukommen) …wegen der doch an einer person festgemachten invektive … einer person, die zu den von mir weniger geschätzten exponenten des literaturbetriebs gehört. da finden sich inzwischen bestimmt mehr als 20, ich glaube auch mehr als 50 junge slammer, comedians und kabarettisten, vielleicht sogar 100, wenn auch nicht unbedingt 200 – u.a. auf youtube überprüfbar, die inspirierter, pointierter, frischer, mehr inhalte und weniger eindimensional und oft platt rüberbringen und etwas mehr zu bieten haben,;wie dann, was die rein und herkömmlich poetischen mitel betrifft, auch manche texte von nicht professionellen dichterInnen.)

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  2. In der Post-DDR Lehrplan kam von Schönberg „Ein Überlebender in Warschau“ im Musikunterricht vor. Die schräge Musik als Ausdruck des Grauens: Das schien dem Musiklehrer noch irgendwie plausibel. Ebenso hier die Reihentechnik. Abgesehen von den Aprikosenbäumen, mag man das nicht hören allgemein. Aber bei Auschwitz soll man ja irgendwie „einen Ausdruck finden für das unausdrückbare Grauen.“ Und dann darf man auch endlich mal nur poetisch besetzte Wörter verwenden, ganz ausschließlich. (Damit unspezifische) Tatsächlich: Wenn wir nicht voller Bilder wären (z.B. schon allein zu Leder) wäre das Gedicht uns zu allgemein und würde es in keine Anthologie schaffen. Wenn man statt Nach „Wundernacht“ schriebe, die Wirkmittel also doppelte, um des Effektes willen, dann würde man laut Killy Kitsch fabrizieren. Wie ist es, wenn man es anders macht: Einfach alles rausstreicht, was zu erzählen wäre, außer die Keywords? Weil das Grauen eh „unerzählbar ist“? (Nicht doch, mal wieder den Fred Wanda lesen!) Ein Kollege sagte auf facebook Befindlichkeitsnötigung, er möchte das hier wohl nicht öffentlich tun. Aber das Wort scheint mir wichtig genug es zu zitieren. Und dann das Ganze noch mit dem biblischen Ton verknüpfen. Heilige Schauer des Schreckens? Auschwitzfrömmelei? Ein Freund hat ein freiwilliges Jahr da gemacht und sprach von Auschwitzporno hinterher. Für jede Nachfrage das passende Angebot: Hier vielleicht mehr die (lyrisch) zarte Auschwitzerotik?
    Ich weiß, dass es jetzt fast langsam wie Hetze aussieht, wenn man der Mehrheit zustimmt, da setzt man sich schnell ins Unrecht (je nachdem auch, wer da schon schrieb) cooler ist immer drüber zu stehen. Aber die paar technischen Dinge wollte ich schon noch loswerden. Vielleicht kann ich Herrn Hindringer motivieren, mir seine mir völlig unverständliche Meinung hier etwas plastischer zu verteidigen? Nämlich so, dass sich das nicht an einem Angriff auf jemanden anders aufhängt?

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  3. Das 1. Gesetz der Preisvergabe: Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand einen Preis bekommt, der schon einen Preis hat, ist um ein Vielfaches größer, als bei jemandem, der noch keinen Preis erhalten hat.
    Das 2. Gesetz der Preisvergabe: Um einen Preis zu bekommen, ist es nicht wichtig, ob man preiswürdig ist, sondern daß man den Preisverleihern als preiswürdig erscheint. Zusatz: Das schließt in einigen Fällen nicht aus, daß derjenige, der einen Preis bekommen hat, preiswürdig ist.
    usw.
    Dazu noch die heitere Wochenendlektüreempfehlung: „Meine Preise“ von Thomas Bernhard.

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  4. Ach, ich mache meinen Unmut nun nicht mehr nur halböffentlicht, sondern öffentlich: ich finde dieses Gedicht zum Kotzen; es raunt bis zum Wort Auschwitz hin, es tut so, und damit tut dies auch die Sprecherin des Gedichts, die ich persönlich als Autorin identifiziere; es tut also so, als wäre die Sprecherin dabei gewesen. Das Gedicht behauptet Wahrheit, geradezu ein Dabei-gewesen-sein (im Viehwaggon), dass dem Gedicht und bestimmt auch der Autorin nicht zusteht.

    Und wenn ich dann noch folgendes in der Süddeutschen lese:
    „Der Holocaust sei ein Lebensthema ihrer Mutter gewesen. Über sie und die Familiengeschichte habe sie sich Auschwitz genähert. Gomringer: ‚Mein Großvater war SS-Offizier.‘ Er habe nichts erzählt. ‚Da war langes Schweigen, Wegschieben.‘ Sie denke jeden Tag ihres Lebens daran, wie es wäre, deportiert zu werden. Das Thema dürfe nicht als rein historisch abgetan werden. Mit ihrer Sprachkunst wolle sie dazu beitragen. ‚Ich arbeite mit Effekt, um einen Affekt auszulösen.'“
    – Dann vermischt sich hier plötzlich einiges im Subtext des Gedichts, das nicht beieinander gehört. Man darf sicher über AUSCHWITZ schreiben, ich zumindest würde das befürworten, aber doch bitte nicht so plump und ranschmeißerisch. „… und sie waren wie Rinder“, so Gomringer. Ich würde an ihrer Stelle noch mal ein wenig über alles nachdenken, bevor ich über Auschwitz schriebe.

    Und dass dann so ein Gedicht mit einem wichtigen Lyrikpreis ausgezeichnet wird, das darf ich dann wohl zum Kotzen finden. Und es wirft auch – unter anderem ob des fortwährenden Auszeichnens von Nora Gomringer, aber nicht nur ihretwegen – ein grelles Licht auf die Juroren in diesem Land, die zu feige scheinen, eigene Entscheidungen zu treffen, und die immer wieder – das ist ja eine sichere Bank – die selben Leute prämieren. Möglichst gutverständliche, jugendliche, und vor allem von anderen Jurys durchgesetzte Gedichte.

    Ich finde das erbärmlich.

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    • “… und sie waren wie Rinder”, so Gomringer

      an dieser stelle machst du es dir aber zu einfach, florian. nichts deutet daraufhin, dass dies der meinung und haltung gomringers entspricht (sagt das ein kind, das so beim anblick aller, die einstiegen oder ausstiegen, dachte, eine assoziation, wie sie einem kommen kann, ein kind, das sich auch über den namen des ortes selbst wundert? nichts deutet irgendwie darauf hin, aber möglich ist es, wer wäre sonst das seltsame des wortes so wichtig?). aber ich gebe dir recht, auch ich vermisse die distanz, die einfach vorhanden ist – nicht immer einfach mitgedacht werden kann – durch die zeit, die seit dem zweiten weltkrieg vergangen ist, distanz, wie sie zum beispiel bei spielbergs ‚der soldat james ryan‘ durch den erzählrahmen gegeben war oder in tarantinos ‚inglourious basterds‘ durch verfremdungseffekte wie elektrisch verstärkte gitarrenmusik oder die einteilung in kapitel, auch das ende sollte einem dabei auffallen, das spiel mit den genres und dem medium selbst; bei ’schindlers liste‘ darf man an den epilog denken. hier wird wohl sowas ähnliches angeboten durch die zersetzung des wortes auschwitz, seine dehnung im vortrag, am ende, aber dadurch, dass es auch gleichzeitig als pointe dient, die das gedicht sowohl zeitlich und räumlich als auch thematisch einordnen muss, wirkt es schwächer und dabei vor allem manipulativ,

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      • oh, ich wollte nicht sagen, dass gomringer juden als rinder sieht. ich finde die wortwahl in einem gedicht, zudem den biblische tonfall hierbei, ein wenig schräg, um es vorsichtig zu sagen.

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      • ‚Ich arbeite mit Effekt, um einen Affekt auszulösen.‘ sagt sie von sich. Die „Rinder“ können ihr demzufolge unterlaufen sein, oder sie hat sie um des Effektes willen reingebracht. Dann bleibt die Anfrage berechtigt. Man nimmt das billigend in Kauf, wenn man so wenig Gerüst darum hat und im vagen bleibt, man sollte dann nicht rausreden man habe „das so nie gesagt“. Finde ich.

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      • ich dräng mich mal hier vor: Ich finde schlimmer den Link zu „Opfer“ mit der Frage: für was, als wäre es irgendwie nicht sinnlos … Die Heiligung

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  5. Im Radio (DLF „Kultur heute“, gestern, kurz vor 18 Uhr) war zu hören: „in der Szene“ rege sich Widerstand gegen „Preishäufungen“ … Aufmacher war der Umstand, dass eine 32jährige Dichterin bereits 20 Preise eingeheimst habe … Eine Schar um „den Herausgeber der Zeitschrift DAS GEDICHT“ habe eine Änderung der Preisvergabepraxis gefordert …

    Und wie sähe die dann aus, diese Preisvergabeänderungsverordnung? Große Preise und ordentlich dotierte Stipendien (mehr als 10.000 Euro) nur an Ü-35, oder nur an Autoren mit min. drei Büchern bei einem schicken Verlag? Publikumsverlag oder reicht auch Indie? Einführung einer Preisbremse? Nur Autoren, die in bestimmten Literaturzeitschriften abgedruckt sind, nur die kommen auf eine zentraldeutsche Nominierungsliste, oder wie?

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    • vielleicht ein preis-leistungs-verhältnis. bei den ersten drei gedichtbänden pro gedichtband maximal 5 preise mit einem bestimmten gesamtwert, mit gewissen preisen lassen sich dabei andere freischalten; mit zb insgesamt zehn stipendien oder einem leonce-und-lena-preis oder einem open-mike-sieg oder… qualifiziert man sich für den peter-huchel-preis. ab dem vierten gedichtband wird die maximale zahl an preisen pro band auf zehn erhöht, nach dem zehnten ohne begrenzung.

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  6. Erst hab ich gedacht, das thema kann eigentlich nur schief verarbeitet werden, bis ich den text gelesen hab. Sehr stark wie hier die bilder in form einer litanei aufgerufen werden, dazu der anklang einer „negativen“ schöpfungsgeschichte.

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  7. Zum Kotzen sind für mich ja eher „Zum Kotzen“-Kommentare.
    Ja, Vorschußlorbeeren sind immer ein wenig schwierig. Darum ohne Umschweife zum Gedicht selber. Es hat mich von der ersten Zeile an interessiert und nicht losgelassen. Es hat von Anfang an eine Spannung gehalten, die ich bei so vielen Gedichten vermisse, bei denen ich kaum um die ersten drei Ecken komme. Gut, der Umstand, dass es mir vorgelesen wurde, spielt vielleicht auch eine Rolle und hat die Gesamtwirkung verstärkt, dagegen ist aber nichts einzuwenden.
    Dafür mag ich Gedichte, für das, was da manchmal in meinem Magen passiert, ohne kotzen zu müssen. Dafür bin ich wohl eher nicht zu haben für „Aporien der Avantgarde“.

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    • ich finde der umstand eines guten vortrages bietet nicht nur
      „nichts einzuwenden“, sondern sollte animiert werden!
      (werden doch lesungen zu oft überladen oder bildbatterien durchgerattert.)

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  8. das problem hierbei ist ja, dass durch den artikel, der einem gleich sagt, man habe es mit einem viel beachteten gedicht zu auschwitz zu tun, eine echte erste begegnung mit dem text oder dem vortrag gar nicht mehr möglich ist, kennt man ja die pointe (das „au-schw-itz“ am ende), noch bevor man den titel kennt. es fällt mir schwer, mich von bestimmten vorstellungen zu lösen, die damit einhergehen, das gedicht, das so nicht angelegt ist, wird zum schlichten begleitmaterial, ein kommentar mir bekannter bilder (schindlers liste oder was auch immer), und zu einem ‚wie hätte es denn gewirkt, wäre ich nicht vorab thematisch eingestellt worden‘ vorzudringen.

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  9. die poetry slamer kommen gefährlich nah;
    es wird zeit den sand aus den urnen
    in säcken schichten!

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