Poet Laureate Louise Gluck

Die amerikanische Dichterin Louise Gluck (sprich: Glick) wird nächster Poet Laureate, berichtet die NYT*) am 30.8.03:

Gluck’s poetry often deals with women’s problems and can be dark and foreboding. Loss and isolation are common themes.

„Writing is not decanting of personality,“ she wrote in 1994 at the start of a volume of essays called „Proofs and Theories.“ „The truth, on the page, need not have been lived. It is, instead, all that can be envisioned.“

Asked for a sample of her work, she suggested five lines from „The Seven Ages,“ published in 2001:

Immunity to time, to change. Sensation
Of perfect safety, the sense of being
Protected from what we loved
And our intense need was absorbed by the night
And returned as sustenance.

The one-year poet laureate’s job includes an office at the Library of Congress, a $35,000 salary and an obligation to deliver and organize readings. Previous poets laureate including Robert Frost, Gwendolyn Brooks and Rita Dove.

Mehr: Washington Post 30.8.03

Prinzipiell unbrauchbar

„ER allein tönt, / und sein Finger hebt richtungsweisend. / Einen Erlass nach dem anderen hufeisengleich schmiedend: / Den schlägt er damit in den Leib, den vor die Stirn, den ins Gesicht, den in die Augen. / Jede Hinrichtung bereitet ihm Vergnügen / Und bläht des Osseten Brust.“ Als der Lyriker Ossip Mandelstam erstmals diese Zeilen in Moskau vor Freunden rezitierte – es war Herbst 1933 -, war allen Zuhörern sofort klar, wie gefährlich dieses Spottgedicht auf Stalin war. Der Kreis jener, die von diesem Gedicht wussten, wuchs. Schließlich wurde Mandelstam im Mai 1934 verhaftet. 1932 war er bereits aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden wegen „prinzipieller Unbrauchbarkeit in der Sowjetliteratur“. / Alexander Kluy, FR 30.8.03

Neue heilige Texte

Dann erschien im Frühjahr 2001 der Doppelband 7/8 mit den «Gesängen» gleichsam als Schlussstein von Sattlers [Hölderlin-]Ausgabe – und unter die vielen anerkennenden Kommentare mischten sich da und dort auch konsternierte, gar entrüstete Stimmen. Sattler huldige dem modischen Kult des Fragmentarischen, hiess es etwa; er konstruiere eine Lesefassung, die dem handschriftlichen Befund widerspreche und nicht nachvollziehbar sei, lautete ein anderer Vorwurf. Die bisher heftigste Kritik aber hat nun die im Stroemfeld-Verlag (wo auch Sattlers Ausgabe herauskommt) erscheinende Zeitschrift «Textkritische Beiträge» (Heft 8, 2003) veröffentlicht.

Im Gespräch zwischen den Editionsspezialisten Wolfram Groddeck, Gunter Martens, Roland Reuss und Peter Staengle wird Sattler vorgeworfen, in seiner Edition würden die «Gesänge» zu «heiligen Texten» erklärt und der Versuch zu «einer Kanonisierung von Hölderlins Werk» unternommen. / Roman Bucheli, NZZ 29.8.03

Friedrich Hölderlin
„Gesänge, 2 Bände“
Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe, Band 7 und 8
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2001
ISBN 387877463X, Gebunden
1023 Seiten, 233,15 EUR

Vgl. auch Freitag 8.8.03 (Michael Buselmeier)

„Ostalgieshows“

In der FR vom 28.8.03 schreibt er über das gleiche Thema (?) am Beispiel der „Ostalgieshows“, Zitat:

Aber welcher Ostdeutsche vergleicht sich schon mit einem Polen oder Tschechen?

Ein paar kenne ich, lieber Richard Wagner, die das seit, mindestens, den späten 60er Jahren taten und tun. Um mal einen der für mich vornehmsten Namen unter ihnen zu nennen: Gert Neumann.

Begründer der brasilianischen Konkreten Poesie gestorben

Haroldo de Campos, who transformed words into whimsical diagrams and subtle critiques of formal poetry as a founder of the 1950’s Concrete poetry movement in Brazil, died Aug. 16 in São Paulo. He was 73. …

The Concretists arrived on the international literary scene as Brazil, imbued with the modernism that also resulted in the completion of the planned capital Brasília in 1960, flirted with different artistic forms.

With his brother, Augusto, and with Décio Pignatari, Mr. de Campos formed a group that sought to create a new form of expression by removing stereotypical traces of Brazilian culture from their work.

One result was a cosmopolitan body of writing that reflected the pragmatic, gritty industrialism of São Paulo and that drew visual inspiration from European artists like Mondrian and Brancusi.

The Cuban writer Severo Sarduy called Mr. de Campos the „Pound-like patriarch“ of the Concrete poets, in reference to the poet Ezra Pound. / Aus dem Nachruf der NYT*), 25.8.03

Texte im Ubuweb
Nachruf von Umberto Eco, L´Espresso

(Italienisch. Interessiert sich jemand in Deutschland? Eco nennt zwei weitere tote Hunde: Max Bense und … Goethe. Und lobt de Campos´ Danteübersetzung. Hier eine Zeile im Vergleich (Paradies XXXI, 1) – Man müßte es natürlich hören – Eco betont es [könnte es einer für mich portugiesisch sprechen?]:

In forma dunque di candida rosa

(Original)

A forma assim de uma cândida rosa

(de Campos, portug.)

In fashion then as of a snow-white rose

(Longfellow)

In form then of a pure white rose [the holy host was shown to me]

(Prosa von Charles Eliot Norton)

In der Gestalt dann einer weißen Rose

(Wilhelm G. Hertz)

Als weiße Rose sah ich so die Scharen

(Paul Pochhammer)

Toter Dichter – guter Dichter

Schlechte Nachrichten für junge & lebende Dichter:

According to the Poetry Society’s findings, just 28 of the poets published by the UK’s eight major imprints are under 40. More evidence of this stark „generation gap“ is reflected in an Arts Council snapshot of the book trade revealing that 96 per cent of poetry bought by the British public is by dead writers. / The Independent 24.8.03

50 Jahre Underground

An einem Samstagmorgen vor fünfzig Jahren fuhr Ferlinghetti die Columbia Avenue durch das Bohemeviertel von North Beach, als er sah, wie jemand an der Hausnummer 261 ein Schild mit der Aufschrift „City Lights Pocket Bookshop“ anbrachte. Ferlinghetti kam mit dem Buchhändler ins Gespräch und sie beschlossen, den Laden gemeinsam zu führen. Autoren und Dichter sollten hier eine Art Gemeindezentrum finden, einen Ort für Experimente, fernab der hektischen New Yorker Verlagswelt. Zwei Jahre später gründete Ferlinghetti den Verlag City Lights Publishers. Eine seiner ersten Veröffentlichungen war der Band „Howl“ des jungen New Yorkers Allen Ginsberg, der mit dem Titelgedicht Ferlinghetti wegen Verstoßes gegen den öffentlichen Anstand ins Gefängnis brachte und zugleich seiner Generation ein Denkmal setzte, das als Grundstein der Subkultur gilt. Der Rest ist Legende. / Andrian Kreye, SZ 23.8.03

Unsure what a poem means?

Sometimes even its author won’t know, warns James Fenton / The Guardian August 23, 2003

Viivi Luik, Estland

Ein Privileg war es, mit zwei Grossmüttern zwei Heimaten zu haben. Bei der einen wohnte sie mit ihren Eltern. Der Vater war ein Monteur, der im ganzen Land für die elektrischen Installationen in Käsereibetrieben unterwegs war. Die andere Grossmutter lebte in einem Nachbardorf. Weil Grossmütter auch nicht immer nur lieb sein können, zog die kleine Viivi sogleich bei der andern ein, wenn die erste ihre bösen Zeiten hatte. Und dann, als sie mit ihren Gedichten Erfolg hatte, gefeiert wurde, den Sowjets wegen ihrer Verrücktheiten sauer aufstiess, vorübergehend auch einmal verboten war und Romane entstanden, spielte in ihren Werken die Freiheit mit der Zensur Verstecken. Wahrscheinlich war die estnische Literatur damals raffinierter als heute. / Heinz Stalder, NZZ 22.8.03

Versschmuggel

Im Gedicht „Praha 1990“ der Französisch-Schweizerin Sylviane Dupuis beginnt die zweite Strophe mit dem Ausruf „Étrangère!“, der die schockartige Erfahrung der Fremdheit pointiert an den Anfang setzt. Barbara Köhler verbannt die „Fremde“ ans Versende und macht aus ihr eine blasser wirkende Apposition: „Du wirst dich hier nicht schadlos halten, Fremde“. Und stehen die „deux animaux fabuleux“ des Marokkaners Abdellatif Laâbi nicht den – zu dem klangähnlicheren – deutschen „Fabeltieren“ näher als den „Märchentieren“?

Es soll hier jedoch nicht gebeckmessert, zumal die Übersetzungen oft gelungen sind. Ein weiteres Verdienst dieser Anthologie liegt darin, dass sie uns deutsche Gegenwartslyrik, die wir in der Regel nur mit der inländischen Konkurrenz vergleichen können, in einem internationalen Kontext präsentiert. Die frankophonen Autoren kommen immerhin aus vier verschiedenen Kontinenten. Der Leser hierzulande gewinnt so auch einen Einblick in verschiedene französischsprachige Kulturen. Zugleich schmuggelt der zweisprachige Band deutsche Gegenwartsdichtung in die Welt hinaus. Eine pfiffige Art von Kulturarbeit. / Jürgen Heizmann, SZ 22.8.03

THOMAS WOHLFAHRT, AURÉLIE MAURIN (Hrsg.): Vers Schmuggel / Mots de passe. Gedichte. Deutsch-französische Ausgabe. Herausgegeben von der LiteraturWERKstatt Berlin. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2003. 320 Seiten, 24,80 Euro

Eindringlinge und Tyrannen

Sein Werk kündet von der Tragödie nicht nur des irakischen Volks, seiner von wechselnden Diktaturen immer wieder enttäuschten Aufbruchshoffnungen. 1971, als ihn die nationalistische Baath-Regierung mit ihren «Säuberungen» vertrieb, kommentierte ein Vers: «Ich habe alle Despoten der alten Welt erlebt, doch jetzt entdeck‘ ich die Despoten der neuen Welt.» 1999, kurz vor seinem Tod, hat sich das Urteil noch verdüstert: «Das irakische Volk wurde von jeher von aussen und innen angegriffen. Und die Tyrannen waren so grausam und verbrecherisch wie die Eindringlinge. Sogar schlimmer. Die Eindringlinge gehen wenigstens wieder, wenn sie geraubt und zerstört haben, und lassen das Volk in Ruhe. Aber die Tyrannen bleiben.» … Al-Bayyatis Werdegang ist exemplarisch. Er trat als Romantiker an, schwang sich mit seinem zweiten Gedichtband 1954 zu einem Pionier der freirhythmischen Moderne auf und fand um 1970, von revolutionären Regimen enttäuscht, zum literarischen Sufitum. Dabei hat al-Bayyati selten auf die Musik nunmehr wechselnder statt – wie in der klassischen arabischen Poesie – immer gleicher Reime verzichtet. Verfechter einer radikalen Moderne haben ihm das verübelt. Sie hätten wohl ihre Freude an der vorliegenden Übersetzung ins Reimlose; wir hingegen vermissen etwas vom verführerischen Wohlklang seiner Worte – und, nebenbei, eine durchgängige Datierung der Gedichte. Was die Sufitöne al-Bayyatis oder etwa auch Adonis‘ betrifft: Die Hommage an die sufistischen Denker Ibn Arabi und Suhrawardi ist nicht im Geringsten religiös. «Ich schreibe nicht für Leute, die in einer Moschee beten!» (1999).
Ludwig Ammann, NZZ 21.8.03

Abdulwahab al-Bayyati: Aischas Garten. Ausgewählte Gedichte. Arabisch/Deutsch. Aus dem Arabischen von Khalid al- Maaly und Heribert Becker. Verlag Hans Schiler, Berlin 2003. 169 S., Fr. 27.50

Gedichtregen

Die chilenische Kulturzeitschrift „CasaGrande“ wollte Blätter mit Texten chilenischer und deutscher Dichter auf die Stadt niederflattern lassen. Aber die örtlichen „Organe“ erlauben es nicht:

Bereits mehrmals hat die Zeitschrift ihr ungewöhnliches Projekt erfolgreich verwirklicht. Die erste Etappe von „Lluvia de Poemas“ (Gedichtregen) war La Moneda, im März 2001 wurden über dem Regierungspalast in der chilenischen Hauptstadt 100000 Lesezeichen mit chilenischer Lyrik abgeworfen. 2002 ergoss sich ein Papierregen mit Texten kroatischer und chilenischer Schriftsteller über Dubrovnik, und für dieses Jahr wurde Dresden ausgewählt. In den kommenden Jahren sind das spanische Guernica und das japanische Nagasaki vorgesehen.

Anfang 2003 wendet sich also Julio Carrasco von „CasaGrande“ an das Goetheinstitut in Santiago. Von dort geht die Bitte um Unterstützung an das Literaturbüro Dresden, das die Unabhängige Schriftsteller Assoziation (ASSO) um Hilfe bittet. Deren Mitglied Uwe Claus schreibt Autoren, Vereinigungen, Literaturzeitschriften an. Die Liste derer, die sich mit ihrer Lyrik beteiligen möchten, ist mit 14 Autoren nicht gerade lang, weist aber mit Utz Rachowski und Undine Materni bekannte Dichter der Region auf. / Dresdner Neueste Nachrichten 21.8.03

Charlotte Mew

It is hard to understand why the English poet Charlotte Mew (1869-1928) isn’t better known. She deserves more readers. Virginia Woolf recognized that she was „very good and interesting and unlike anyone else,“ and Thomas Hardy, whom she revered as the „King of Wessex,“ considered her „far and away the best living woman poet, who will be read when others are forgotten.“ Mew’s poetry has a strange, agitated beauty./ Edward Hirsch´s Poet´s Choice, The Washington Post*) 21.8.03

Martin Merz (1950 – 1983)

Ungeschönt und ungekürzt sind alle Texte versammelt, die Martin Merz in die Tasten seiner Schreibmaschine gehämmert hat – ohne je zu korrigieren, ohne Widerruf oder Überarbeitung, wie Klaus Merz von der quasi eruptiven Schreibweise seines Bruders berichtet. So bleibt einem beim Lesen, den qualitativen Schwankungen zwischen den einzelnen Gedichten ausgesetzt, letztlich nur die permanente Befragung von Text und Lesart zugleich: Aus welchen Bildern oder Auslassungen sind die poetischen Sehnsuchtsräume gezimmert? Wie bewegt sich das lyrische Ich darin? Wie gut greifen die Werkzeuge des Verstehens und Interpretierens in Texten aus dem «Zwischenland»?

Wohl zu Recht fordert Elsbeth Pulver in ihrem so einfühlsamen wie klugen Nachwort, man solle sich auf den Dichter Martin Merz einlassen wie auf andere Lyriker. Dennoch tauchen hinter und über den intensiven Sprachbildern die anderen, biografischen Bilder immer wieder auf: Der vom Bruder gestützte, lachende Mann, der in seinen Gedichten so häufig vom Tanzen, von der Bewegung spricht. Der Dichterbruder, in dessen «Kavernen» im Kopf sich Texte bilden, «schmal und zerbrechlich wie Stalagmiten oder Stalaktiten», wie Klaus Merz das Überraschende, die Vorstellungen vom «Normalen» oder «Behinderten» Überrumpelnde beschreibt. / Sibylle Birrer, NZZ 20.8.03

Martin Merz: Zwischenland. Die gesammelten Gedichte. Mit einer Hommage von Klaus Merz und einem Nachwort von Elsbeth Pulver. Haymon-Verlag, Innsbruck 2003. 155 S., Fr. 25.

Becherhymne

Wie Adorno Eislers Vertonung der Becherhymne als ästhetischen Widerstand las, zeigt D. Razumovsky in der SZ vom 20.8.03