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Veröffentlicht am 9. August 2023 von lyrikzeitung
Heiner Bastian
(* 1943 in Rantau, Kurische Nehrung)
IN JENEM IKONISCHEN BILD eines entsetzten Schreis das Edward Munch 1893 unter einem roten Himmel malte gerät die Sprache, die wir für das Bild suchen, auf einmal in das Reich der Unklarheit und wird Gegenstand eines unsinnigen Fabulierens Ein seltsam umgreifendes Diktum des Erlebens spricht und die Möglichkeit einer Illusion all unserer Zeichen erfaßt uns als etwas Unbegrenztes außerhalb aller Regeln Heute Abend wäre es angemessen, ganz und gar zu schweigen aber in der Sinnlichkeit des Bildes verwerfen wir diesen Gedanken denn wir glauben an die unverbrüchliche Klarheit der Ästhetik und doch ist sie nur das Reich der Unverbindlichkeit Das »Unsagbare«, sagt Ludwig Wittgenstein, »ist das, was sich zeigt im Sagen des Sagbaren« Heute Abend treiben die Plejaden die Wolken hin und her unter einem roten Himmel ein mystisches Schauspiel ohne Worte Aber das Bild des entsetzten Schreis ist das Bild einer wahren Empfindung es ist das Bild einer einzigen Welt, die wir als Sprache haben
Aus: Poesiealbum 376. Heiner Bastian. Auswahl Michael Krüger. Bilder von Cy Twombly. Wilhelmshorst: Märkischer Verlag, 2023, S. 12f
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Heiner Bastian
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