110. Liebe zum Risiko und zum Alkohol

Heute hatte ich Lust, etwas zu trinken, also wählte ich die Nummer des Herrn Rezayi*, meines „Saghi“ (Saki), ein altes, aus der persischen Poesie entlehntes Wort mit der Bedeutung Mundschenk, jemand der einen König, Prinzen oder eine hochgestellte Person mit Getränken versorgt. Das Wort wird heute gern benutzt für Lieferanten der verbotenen alkoholischen Getränke.

– Hallo, was hast du auf Lager?

– Whisky « Red Label » 200.000 Tomans (50 Euros), Whisky «Label 5» 100.000 Tomans (25 Euros), Wodka 100 000 Tomans (25 Euros)

– Ich nehme drei Flaschen „Red Label“

– Okay, ich bin in 40 Minuten da

– Okay, bis gleich!

Alkohol ist in Iran offiziell verboten und Trunkenheit wird nach dem islamischen Strafrecht mit 80 Peitschenhieben bestraft, eine Strafe, die nur selten angewandt wird, vor allem weil die Person gestanden haben muß, daß sie getrunken hat, um verurteilt zu werden. Nach den gleichen Bestimmungen wird bei einer dritten Verurteilung die Todesstrafe verhängt.

(…)

Herr Rezayi* bringt mir den Whisky und erzählt, daß die Polizei vor kurzem sein Auto beschlagnahmt hat, weil man im Kofferraum Flaschen gefunden hat.

Ich genehmige mir ein Gläschen Whisky und ein Gedicht von Omar Khayyam, dem großen und populären persischen Dichter aus dem 12. Jahrhundert, hallt in meinem Kopf wie ein historisches Gebot:

« Nous et le vin et le banc de la taverne et nos corps d’ivrogne nous sommes
Insoucieux de l’espoir de la miséricorde et de la terreur du châtiment;
Nos âmes et nos cœurs et nos coupes et nos vêtements tachés de lie
Sont indépendant de la terre et du feu et de l’eau. »

/ Lettres de Téhéran

Ich fand eine – vermutlich weder sehr treue noch sehr poetische – Übersetzung dieses Rubai von Omar Khayyam (trotzdem, wenigstens gab es sie, und damals strebte man noch eine „Bibliothek der Gesamtlitteratur des In- und Auslandes“ an):

Ich, Sänger, Wein, der wüste Raum: Gewand,
Pokal, Herz, Seel‘ weihn wir dem Wein als Pfand;
Der Gnadenhoffnung und der Straffurcht ledig,
Was sind uns Erde, Wasser, Wind und Brand?

Hart, Julius: Divan der persischen Poesie: Blütenlese aus d. pers. Poesie, mit e. litterarhist. Einl., biogr. Notizen u. erl. Anm.. Halle a.d.S.: Otto Hendel, 1887 (Bibliothek der Gesamtlitteratur des In- und Auslandes ; Nr. 143/145), S. 50.

Nasim 

* Namen wurden geändert

10 Comments on “110. Liebe zum Risiko und zum Alkohol

  1. Pingback: Wir und der Wein | Textkette

  2. Das wird Frau Dr. Baghestani wissen und klären, sie ist wohl momentan nicht im Netz- ich bin mir ganz sicher- und ich schätze sie seit vielen Jahren sehr.

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  3. die abwesenheit des reims, in den beiden übersetzungen, scheint nicht so zu stören, weil hier das wichtigste „bindemittel“ die sehr suggestive syntax ist (ich vermute, hoffe, im original auch)

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  4. nun müßte man noch den persischen text kennen – ich fand leider keine anderen übersetzungen, auch nicht in den englischen, die ich durchsah. aber der französische text wirkt als wäre er treuer

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    • ماییم و می و مطرب و این کنج خراب
      جان و دل و جام و جامه پر درد شراب
      فارغ ز امید رحمت و بیم عذاب
      آزاد ز خاک و باد و از آتش و آب

      Quelle: http://ganjoor.net/khayyam/robaee/sh6/

      (Hier) sind wir und Wein und Sänger/Musikant und dieser Winkel der Schenke,
      Seele und Herz und Pokal und Gewand voller Schmerz des Weines (nach Wein lechzend)
      Ledig der Hoffnung auf Gnade und Furcht vor Bestrafung,
      Frei von Erde/Staub und Wind und von Feuer und Wasser

      1.Wir, hier wohl als Pluralis majestatis
      2. Winkel der Schenke, wörtl. kondsch-e charāb, s. Charābāt
      http://de.wikipedia.org/wiki/Charābāt

      In der Transkription werden die vielen Alliterationen deutlicher. Das persische „wa“ (und) wird nicht nur in der Dichtung zu „o“ verschleift, z.b. „man o to“ (ich und du):
      Mā-yim o mey o motreb o in kondsch-e charāb
      dschān o del o dschām o dschāme-ye por-e dard-e scharāb
      fāregh ze omid-e rahmat o bim-e azāb
      āzād ze chāk o bād o az ātasch o āb

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  5. Wenigstens treu:

    Wir und der Wein und die Tavernenbank und unsere Säuferkörper wir sind
    Unbesorgt um die Hoffnung der Barmherzigkeit und das Entsetzen der Bestrafung;
    Unsere Seelen und unsere Herzen und unsere Becher und unsere vom Bodensatz fleckigen Kleider
    Sind unabhängig von der Erde und vom Feuer und vom Wasser.

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