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Kerckhoff, die 1950 Selbstmord beging, ist nicht die einzige der Autorinnen, die den Freitod wählte. Andere flüchteten in den Alkohol. Die ungewöhnlichste Dichterin ist Eveline Kuffel, die mitten in der DDR als Vagantin lebte und 1978 wie Ingeborg Bachmann durch einen Brand im Bett starb.
Das Schicksal Edeltraud Eckerts weist Züge einer antiken Tragödie auf. 20-jährig wurde die Rilke-Verehrerin 1950 zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Sie hatte sich aus Protest gegen die Fortführung des NS-Lagersystems in der SBZ der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ in West-Berlin angeschlossen. 1955 wurde ihr im berüchtigten DDR-Zuchthaus Burg Hoheneck bei einem Arbeitsunfall die Kopfhaut abgerissen. Nach wochenlangem Überlebenskampf starb sie qualvoll an Wundstarrkrampf. Ein Schreibheft mit ihren Gedichten wurde nach ihrem Tod der Familie übergeben.
Zumindest im Zuchthaus lebte die Erinnerung an Eckert fort. 1977 wurde die Studentin Gabriele Stötzer dort zur Verbüßung ihrer Haft eingeliefert und begegnete der Legende von der gehäuteten Dichterin, die verreckte, weil sich niemand traute, den Erste-Hilfe-Kasten zu öffnen. Stötzer hatte den Erfurter Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns mitorganisiert. Wegen Staatsverleugnung wurde sie zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Verbüßen musste sie die Strafe zwischen Mörderinnen, Diebinnen und Prostituierten. Nach der Entlassung aus der Haft ist sie gezeichnet. Stötzer werde inzwischen von Kritikern, so Geipel, als ostdeutsche Sarah Kane oder weibliches Pendant zu Rainald Goetz eingeordnet. / Sabine Pamperrien, Freitag 29.7.
Zensiert, verschwiegen, vergessen. Autorinnen in Ostdeutschland 1945-1989. Ines Geipel Artemis & Winkler, Düsseldorf 2009, 287 S., 24, 90 E
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