Einsam auf der Säule

Die Wochen-ZEIT, deren Literaturredakteurin gern mitteilt, daß sie nichts von Lyrik verstünde, scheint dieselbe (die Lyrik, nicht die Redakteurin) retten zu wollen. Vor Jahren das politische Gedicht, bei dem sie achtbare und auch einige mir sehr liebe DichterInnen einlud, politische Gedichte zu schreiben (nur waren die Aktivisten des politischen Gedichts unter Alten wie Jungen nicht dabei). Und nun Schlag auf Schlag. Zunächst noch positiv, als Nora Bossong „die Lyriker“ aufforderte, sich „ins Zentrum“ zu trauen. Vorige Woche schlug Thomas Böhm vor, Galerien für Lyrik zu gründen und statt auf Gedichtbände auf Einzelgedichte zu setzen. Das es alles das und noch viel mehr längst gibt, tat dem Messianismus seines Vorschlags keinen Abbruch.

Beide, Bossong und Böhm, lehnten sich noch an den im Frühjahr ausgebrochenen Jubelton an. „Das Gedicht ist als Ware wiederentdeckt – vielleicht das Wundersamste an diesem Bücherfrühling.“ (Bossong). „Der Erfolg von Jan Wagner zeigt: Lyrik hat kein Aufmerksamkeitsproblem.“ (Böhm) Aber jetzt ist Schluß mit lustig. Dem Jubellenz folgt der Summer of our Discontent, auf Deutsch Muffelsommer.

„Dann lieber Einkaufszettel lesen: Wenn man das neue „Jahrbuch der Lyrik“ als Kursbuch der Literatur versteht, kann einem angst und bange werden, wohin die Reise geht.“ So stöhnt Heike Kunert in der aktuellen Zeit. Eine „von Langeweile und Empörung angetriebene Schnappatmung“ löst die Lektüre von 149 Gedichten, zumindest eines Großteils davon, bei ihr aus. Es sei „kein guter Jahrgang: verhalten, trocken, unreif, artig.“ (Bis dahin geht der Rezensionsrezensent mit.)

Nicht daß sie nicht auch Lichtblicke findet. „Natürlich gibt es auch kleine Oasen in diesem geistigen Brachland. Dafür sorgen bekannte Autoren wie Herta Müller, Elke Erb oder Michael Krüger.“* Ja, und dann noch „eine als Lyrik getarnte kleine Erzählung“ über Fingernägel, „die als solche gelesen, tatsächlich Spaß macht.“ Na gut. Die Lösung von Böhm, die Fingernägel als Einzelblatt, hätte hier geholfen. Zumindest der Rezensentin Schnappatmung erspart.

Ich teile die Begeisterung über den Fingernägeltext nicht, aber auch ich finde, daß das aktuelle Jahrbuch keins von den besseren ist. Nur will die Rezensentin nicht einfach eine schwache Anthologie kritisieren, sie zielt auf mehr. „Denn es ist doch so, dass die Lyrik auch immer ein Seismograph des Geisteszustandes einer Gesellschaft ist; ein Destillat der Erfahrungen und Schmerzen.“

Heißt das, wie ein Leserkommentar meint, unsere Zeit hat die Lyrik, die ihr entspricht? Oder fordert sie ein, was die Gedichte nicht liefern? Der nächste Satz scheint die Vermutung zu bestätigen: „Überdies fällt auf, dass sich so gut wie kein politisches, zumindest gesellschaftskritisches Gedicht im Jahrbuch findet. Möchte man kein Mahner mehr sein oder ist Politik nur noch ein Synonym für Langeweile?“

Leider hört das Nachdenken an dieser Stelle auf.  Auf die Frage, ob die Herausgeber vielleicht politische Gedichte herausgefiltert haben, kommt Rez. nicht. Überhaupt: Wer ist „man“? Zum Vergleich:

„Nach den ersten 50 flüchtet man zu Gottfried Benn; nach weiteren 30 zu Thomas Brasch und Paul Celan, und hat man die Fibel der Lyrik endlich ausgelesen, so begibt man sich unter die Fittiche von Joseph Brodsky.“ – „Man möchte überhaupt einmal vielen Lyrikern zurufen, dass die Bedeutung ihrer Texte durch permanente Kleinschreibung aller Wörter nicht größer wird.“ – „Man möchte nicht einen letzten Vers lesen, der da lautet: ‚und im Keller faulen die Äpfel von innen‘ “. – „Möchte man kein Mahner mehr sein oder ist Politik nur noch ein Synonym für Langeweile?“ Man, man, man…

Der größte Denkfehler in dieser Rezension ist der Schluß von 149 Gedichten auf „die Lyrik“ heute. Nicht nur daß die Frage nicht gestellt wird, was die Herausgeber aus den 7000 Einsendungen herausgefiltert haben, wirklich nur die noch schlechteren? Und auch nicht die Frage, welche Autoren gar nicht erst eingeschickt haben. Wenn ich unter den 30 Jahrbüchern suche, erinnere ich mich an starke oder spannende, zum Beispiel als Adolf Endler (2002), Elke Erb (1986), Karl Mickel (1990), Ulf Stolterfoht (2008) oder Michael Lentz (2005) Mitherausgeber waren. Offensichtlich gibt es starke und schwache Ko-Herausgeber, solche, denen es gelingt, Autoren unterzubringen, die bisher unterrepräsentiert oder gar nicht vertreten waren, und andere, weniger durchsetzungsfähige oder bequemere. Erwarte ich zuviel von einer Rezension, wenn ich fordere, dies zu berücksichtigen? Ulf Stolterfoht hatte das Problem in seiner Nachbemerkung angesprochen: „Christoph Buchwald fiel es leicht, sich von mir Gedichte aus dem experimentellen Lager nahebringen/unterjubeln zu lassen, mir fiel es schwerer, die Machart vieler eher konventioneller Gedichte zu akzeptieren. ‚Damit kann ich leben!‘ war wahrscheinlich der am häufigsten geäußerte Satz während unseres Berliner Auswahl-Treffens.“ Im Stolterfohtband finden sich Allemann, Ames, Egger, Filips, Koziol, Lange, Reinecke, Scherstjanoi neben Bossong, Hartung, Küchenmeister. Kooperation ist Kompromiß. Bei Erb (1986) stechen mir Anders und Anderson, Böhmer, Bossert, Claus, Döring, Igel, Kling ins Auge, bei Mickel 1990 Stolterfoht, Hüge, Wichner, Hilbig, Pastior, bei Endler 2002 Domašcyna, Klünner, Köhler, Koziol, Lorenc, bei Lentz Behrens-Hangeler, Hausmann, Mon, Struzyk, jeweils als Beispiel, in keinem der Fälle weiß ich, welchem der Herausgeber die Aufnahme zu verdanken ist, aber diese Bände tragen das Gesicht des Mitherausgebers. Wie ist es mit dem vorliegenden Band? Die Rezensentin stellt auch diese Frage gar nicht, ja sie lobt sogar die Herausgeberin, wo sie unterstellt, sie habe eben viele schwächere Gedichte in Kauf nehmen müssen:

„Ansonsten wird aber schnell klar, dass sich Gomringer über die magere lyrische Ernte enttäuscht zeigt. Viel Spreu unter wenig Weizen. Gomringer erklärt es so: ‚Und mancher wird in der Auswahl dieses Bandes natürlich Dinge vermissen, die die Herausgeber bei den Einsendungen nicht finden konnten.‘

Das erklärt hinreichend, warum so viel Schlechtes auch ins Köpfchen, ergo Buch musste.“

Wirklich hinreichend??

Unterscheidung, Alternativen, Schwerpunktsetzung? Fehlanzeige. Rez. zieht es vor, sich als scharfe Kritikerin zu inszenieren, jede Differenzierung schwächte das Bild nur. Lieber auf der Schulter von Riesen, hier neben Krüger, Benn & Co. vor allem Jossif Brodsky, auf die behauptet magere deutsche Szene herabblicken. Einsam ist es dort oben auf der Säule!

*) Eine beliebte Figur, die Alten herauszuheben, Bossong nutzt sie auch, für ihren Zweck: „Und neben all dem Jugendkult bleibt die zärtliche Erhabenheit einer Friederike Mayröcker hoch geachteter Bezugspunkt genauso wie die störrische Neugier einer Elke Erb.“ Beide, Mayröcker und Erb, galten nicht zu jeder Zeit als unanfechtbar vorbildhafte Ausnahmegestalten. (Wenn nicht alles täuscht, ja auch für Bossong nicht)

1 Comments on “Einsam auf der Säule

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