109. Wozu noch Gedichte?

DLR fragt:

„Wozu noch Gedichte lesen und schreiben?“

„Lyrik ist das punktuelle Zünden der Welt“,

sagt der Lyriker Jan Wagner.

„Lyrik ist punktuelles Zünden der Welt im Subjekte“,

sagt der Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer hundertundx Jahre vorher. Wagner läßt das Subjektwort weg, aber die Vorstellung vom „punktuellen Zünden“ bleibt im Subjektraum. – Oder anders gesagt: Wagner zitiert Vischer, bißchen out of date zugegeben, und die Interviewer merkens nicht. Sei’s drum.

Interessanter die Antworten von Cornelia Jentzsch:

Wie erklärt er sich, dass die Poesie dennoch ein solches Nischendasein fristet?

„Ich glaube, dass die Schule den Menschen die Gedichte vermiest hat. Es ist ein Grundproblem, dass die Leute denken, ein Gedicht ist etwas, das man interpretieren muss, dem man etwas abpressen muss.“

Dabei sei die Lyrik etwas, mit dem die Leute spielen könnten, das ihnen helfen könne, die Welt zu entdecken.

„Mich hat die Literatur gerettet“, sagt Cornelia Jentzsch. Die Literaturkritikerin versucht, ihre eigene Begeisterung für die Lyrik an ihre Leser weiterzugeben.

„Ich bin im Osten groß geworden, mit einer offiziellen, genormten und armen Sprache. Als ich angefangen habe, über das Leben nachzudenken, haben mir die Worte gefehlt.“

Die Literatur, besonders aber die Lyrik, halfen ihr, eine eigene freie Sprache zu finden. Daher beobachtet sie derzeit auch den osteuropäischen und arabischen Raum mit großem Interesse:

„Dort ist der Zugang zur Literatur wesentlich existentieller, über Kunst findet Gemeinschaft statt.“

Die meisten Menschen würden meist nur die Klassiker kennen, nicht aber die neue Lyrik, ganz zu schweigen von der Poesie anderer Länder.

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