Auf der Bühne im Central-Theater sind an einem mannshohen Gestänge Gongs und Klanghölzer aufgehängt, große Pauken und Saiteninstrumente, die Monochorde, haben Besitz vom Raum ergriffen. Ganz vorn steht winzig ein halb volles Glas mit Wasser, so spröde und leise wie die Lyrik Paul Celans sonst erscheint. Die Performance „Zwischen immer und nie“ der Stuttgarter Manuela Ruh und Arno Schostok versucht eine Symbiose von Musik und gesprochener moderner Lyrik. /Petra Weber-Obrock, Eßlinger Zeitung 12.2.02
Über den Konflikt zwischen Hindus und Moslems in und um Kaschmir berichtet Ilja Trojanow:
Die gegenwärtige Dominanz einer antagonistischen Einstellung deutet zum einen auf tiefsitzende Verunsicherung, zum anderen auf einen bitteren Kampf um Pfründen. In solchen Zeiten geraten die wunderschönen Zeilen des Dichters Amir Khusrau aus dem 12.Jahrhundert allzu schnell in Vergessenheit: Manto shudam to man shudir – Ich bin du und du bist ich. / NZZ 11.2.02
Warum es die Türkei nicht schafft, Frieden zu schließen mit ihrem berühmten Dichtersohn Nazim Hikmet – selbst zu dessen 100. Geburtstag nicht –
schreibt Christiane Schlötzer in der Süddeutschen , 11.2.02
Olympische Gedichte von Pindar und Bacchylides stellt die RubrikPoet’s Choice: By Edward Hirsch in der Washington Post vor, Sunday, February 10, 2002; Page BW12
«Hott’z Mülleinnnijomm pegunnen, mörrckstde auchch nüxx mööhr darvunnen.» So dichtet Matthias Koeppel; andere anders in:
Axel Kutsch und Anton G.Leitner (Hrsg.): Unterwegs ins Offene. Erste Gedichte aus einem neuen Jahrtausend. Verlag Landpresse, Weilerswist 2000. 118S., Fr. 35.-.
Neue Zürcher Zeitung , 9.Februar 2002
In der „Welt“ bittet Franzobel die Venezianer, den Karneval nicht abzuschaffen, und definiert Rausch und Lyrik zugleich:
Der Rausch ist eine wunderbare Sache, das Desaster des Daseins zu vergessen, sich selber zu entfremden, sich erst zu erkennen, Lyrik. Der Rausch, dessen Zustand in manchen östlichen Kulturen erst der Wirklichkeit entspricht, wird in unserer prosaischen Gesellschaft bloß noch sanktioniert, gemaßregelt, bestraft. / Die Welt 9.2.02
Unter dem Gedichttitel „Zweites Vermächtnis“ fordert ein Vers: „Lasst die Lebenden in Frieden damit die Toten lebendig werden: ich will mich im Jenseits amüsieren“. Seit 1981 an jenen unbekannten Ort verzogen, hat sich der italienische Dichter und Nobelpreisträger Eugenio Montale zu Lebzeiten einiges einfallen lassen, damit dieser Wunsch in Erfüllung geht. Er hat 84 Gedichte, zwischen 1969 und 1979 auf Zetteln und Postkarten verfasst, in elf nummerierte Umschlägen gesteckt. Diese hat er den treuen Händen seiner späten Muse, Annalisa Cima, anvertraut, eine identische Kopie in der Rechtsabteilung des Verlages Mondadori hinterlegt und per Testament das Prozedere des Erscheinens vorgegeben: Fünf Jahre nach Montales Tod 1986 durfte eine Stiftung damit beginnen, pro Jahr jeweils den Inhalt eines der elf ominösen Umschläge zu publizieren. 1996 brachte Mondadori erstmals das gesamte „Diario Postumo“ heraus./ Thomas Wild, Berliner Zeitung 9.2.02
Das postume Tagebuch. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Christine Koschel. 2 Bände. Kirchheim Verlag, München 1998 und 2001. 93 und 141 S., 16,90 bzw. 19,90 Euro.
la POÉSIE AMÉRICAINE :
L’épopée d’Ezra Pound
La réédition de ses fameux „Cantos“ est un événement. A l’heure où se construit l’Europe, on plonge dans une œuvre monumentale, un classique du XXe siècle./ Le Figaro 8.2.02
LES CANTOS d’Ezra Pound. Traduit de l’anglais (Etats-Unis) par Jacques Darras, Yves di Manno, Philippe Mikriammos, Denis Roche, François Sauzey, Flammarion, „Mille & une pages“, 980p., 26€.
Johann Lippet hat sich vom legendären «alphabet» seiner dänischen Kollegin Inger Christensen inspirieren lassen. Dass beim Vagabundieren in Wörterbüchern enorme poetische Sprachenergien freigesetzt werden können, demonstriert nun sein «Banater Alphabet». Der zentrale Schauplatz dieser poetischen Sehnsuchtsreise ist das ungarische Grenzstädtchen Hegyeshalom, ein Ort, der einst nicht nur die Lebenswelten von West- und Ost-Europa, sondern auch die Biografie des Dichters Johann Lippet zertrennte. 1951 im österreichischen Wels geboren, kam Lippet als Kind ins Banat, wo er nach Schule und Studium als Dramaturg arbeitete, bis er 1987 unter dem Repressionsdruck des Ceausescu-Regimes in die Bundesrepublik übersiedelte.
Sein «Banater Alphabet» entwickelt eine Archäologie des Heimatgefühls. In epischen Langzeilen durchschreitet der Wanderer nicht nur die Landschaft bei Hegyeshalom, also die Herkunftswelt seiner Vorfahren, sondern auch die Landschaft der Wörter, wobei es durch die von ihm zitierten Funde in alten Wörterbüchern zu gewaltigen Reibungen, Aufladungen und Erhitzungen des Sprachmaterials kommt. /Michael Braun, Basler Zeitung 8.2.02
Jan Koneffke: «Was rauchte ich Schwaden zum Mond». Gedichte. DuMont Verlag. 90 S., Fr. 34-
Klaus Hensel: «Humboldtstrasse, Römisches Rot». Liebesgedichte. Schöffling & Co.. 88 S., Fr.30.-.
Johann Lippet: «Banater Alphabet». Verlag Das Wunderhorn. 48 S., Fr. 24.-. ,
Not first sight, often enough, but a second look – it is a mysterious thing with poetry that it finds its own moment. The poets that have meant most to me – Lowell, Bishop, Schuyler – all, as it were, were rudely kept waiting by me. I had their books, or I already knew some poems of theirs, but there was no spark of transference. Then it happened, and our tepid prehistory was, quite literally, forgotten beyond a lingering embarrassment at my own callow unresponsiveness. It was as though they had always been with me, and I found it difficult, conversely, to remember our first encounter. / Michael Hofmann über Lieblingsdichter, speziell James Schuyler, LRB Volume 24 Number 3 | cover date 7 February 2002
Beobachter haben mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen, dass der Premier nun schon zu diffuser Kaiserlyrik Zuflucht nimmt. „Ich hoffe, das Volk wird so heldenhaft sein wie jene Kiefern, die trotz Schnee auf den Zweigen immergrün bleiben.“ Die Durchhalteparole stammt aus einem Kapitulations-Poem von Kaiser Hirohito nach dem Zweiten Weltkrieg. / Berliner Zeitung 6.2.02
Es sah einmal so aus, als schriebe Andreas Okopenko seine Lyrik für eine kleine Minderheit. Als 1980 im Verlag Jugend & Volk Okopenkos Gesammelte Lyrik erschien, war das ein Unterfangen, das erhebliche Widerstände überwinden musste. Nie hatte sich Okopenko in den Vordergrund gedrängt, nie war er der Mann für die großen Auftritte. Er hatte einen guten Ruf, aber für die erste Liga schien ihn niemand vorgesehen zu haben. …
Es ist höchste Zeit, Okopenko herauszuholen aus der österreichischen Enge. Er verdient ein größeres Publikum, das allmählich findet, dass Robert Gernhardt zwar ein passabler Kasperl ist, aber keine große Literatur schreibt. Bei Okopenko findet der Leser Gedichte, die aus der Laune des Augenblicks geboren sind, und dem Kleinen, Unscheinbaren, Nebensächlichen Tiefe und Sinn verleihen. Der Lyriker spricht vom Fluidum, wenn er erklärt, was es mit jenen Momenten auf sich hat, die kurzfristig das Glück unverhoffter Schönheit feiern. Ihnen sucht er Dauer zu verschaffen: „Eine Straße im Grün / in das du trittst / und da schimmert es: / das sind Schienen.“ …
Am Montag wurde dem 1930 im slowakischen Kaschau / Kosice geborenen Andreas Okopenko in Salzburg der Georg-Trakl-Preis, eine der wichtigsten Lyrik-Auszeichnungen im deutschen Raum, überreicht. … Den Trakl-Förderungspreis für Lyriker unter 40 Jahren erhielt Martin Tockner, Jahrgang 1966. Tockner stammt aus dem Salzburger Land und ist bislang noch nicht literarisch hervorgetreten. / Anton Thuswaldner FR 6.2.02
Der Atlantic vergleicht die Nobelpreisverleihung an V.S. Naipaul mit einer amerikanischen Ehrung für Ezra Pound:
A group of eminent American writers appointed by the Librarian of Congress—including W. H. Auden, T. S. Eliot, and Robert Lowell—awarded the 1948 Bollingen Prize to Ezra Pound , for The Pisan Cantos . Because Pound had spent the war broadcasting propaganda for Mussolini, and was at the time in a mental hospital, having been judged unfit to stand trial for treason, the award not surprisingly caused a storm of protest, even though the judges insisted that they had taken as their guiding principle only „that objective perception of value on which any civilized society must rest,“ and denied that their decision had any political significance. Dwight Macdonald disagreed: the award was political, not to say „the brightest political act in a dark period,“ precisely because the judges had rebuked totalitarianism, whose worst horror is that it „reduces the individual to one aspect, the political … and I think we can take some pride as Americans in having as yet preserved a society free and ‚open‘ enough for it to happen.“ / The Atlantic , Feb. 2002
Zwanzig Jahre hatte er an einer deutschen Version der «Divina Comedia» (immer unterschied er an der ungewohnten, aber historisch korrekten Schreibung des Wortes mit einem m den Kundigen vom Ahnungslosen) gearbeitet, mit der er nicht etwa Dante ins Deutsche hatte übersetzen, sondern die literarhistorische und sprachgeschichtliche Lücke hatte heilen wollen, die das Fehlen eines deutschen Dante im ausgehenden Mittelalter hinterlassen hatte.
So klang sein Dante, wie er hätte klingen können, wenn es einen solchen um 1300 denn gegeben hätte. Das Resultat seiner so stupenden wie vergeblichen Arbeit ist ein Werk in einem fiktiven Oberdeutsch, das er in einer eher peinlichen Audienz sogar dem Duce überreichen durfte. Bis 1943 lebte er einigermassen unbehelligt in Italien, seit 1943 aber, als die Macht de facto ganz an die Deutschen überging, war Borchardt wegen seiner jüdischen Vorfahren gefährdet. / Hans-Albrecht Koch, NZZ 5.2.02
Rudolf Borchardt – Rudolf Alexander Schröder : Briefwechsel. In Verbindung mit dem Rudolf-Borchardt-Archiv bearbeitet von Elisabetta Abbondanza. Edition Tenschert bei Hanser, München 2001. Band I: 1901-1918; Band II: 1919-1945. 740 S. bzw. 707 S., je Fr. 112.-.
Die Wiederentdeckung eines lange verschollenen Kunstschatzes erregt in England Aufsehen. Eine Sammlung von neunzehn Aquarellen des frühromantischen Dichtermalers William Blake (1757 bis 1827), die dieser 1804 als Illustrationen für eine Neuausgabe des Versessays „The Grave“ des schottischen Geistlichen und Lyrikers Robert Blair (1699 bis 1746) gemalt hat, ist, nachdem sie 165 Jahre lang als vermißt galt, bei einem Kunsthändler in Swindon in der Grafschaft Wiltshire aufgetaucht. / FAZ 5.2.02
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