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Veröffentlicht am 3. Juni 2024 von lyrikzeitung
Heute vor 100 Jahren starb Franz Kafka. Ich habe zum Anlass eins der wenigen Gedichte des Autors ausgesucht. Er legte es einem Brief an Hedwig W. vom 29. August 1907 bei. Er schreibt:
Übrigens habe ich keine Geselligkeit, keine Zerstreuung; die Abende über bin ich im kleinen Balkon über dem Fluß, ich lese nicht einmal die Arbeiterzeitung und ich bin kein guter Mensch. Vor Jahren habe ich einmal dieses Gedicht geschrieben.
In der abendlichen Sonne
sitzen wir gebeugten Rückens
auf den Bänken in dem Grünen.
Unsere Arme hängen nieder,
unsere Augen blinzeln traurig.
Und die Menschen gehn in Kleidern
schwankend auf dem Kies spazieren
unter diesem großen Himmel,
der von Hügeln in der Ferne
sich zu fernen Hügeln breitet.
Und so habe ich nicht einmal jenes Interesse an den Menschen, welches Du verlangst.
Du siehst, ich bin ein lächerlicher Mensch; wenn Du mich ein wenig lieb hast, so ist es Erbarmen, mein Anteil ist die Furcht. Wie wenig nützt die Begegnung im Brief, es ist wie ein Plätschern am Ufer, zweier durch eine See Getrennter. Über die vielen Abhänge aller Buchstaben ist die Feder geglitten und es ist zu Ende, es ist kühl und ich muß in mein leeres Bett.
Dein Franz
Aus: Franz Kafka: Die Briefe. Frankfurt/Main: Zweitausendeins, 2005, S. 36
Kategorie: Österreich, Deutsch, TschechoslowakeiSchlagworte: Franz Kafka
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Anlässlich seines 100. Todestags wirft Ulrich Bergmann einen neuen Blick auf das Werk von Franz Kafka http://www.editiondaslabor.de/blog/2023/07/03/kafkas-axt/
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