Künstlers Abendlied

Johann Wolfgang Goethe

(* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar)

Lied des phisiognomischen Zeichners

O daß die innre Schöpfungskraft
Durch meinen Sinn erschölle
Daß eine Bildung voller Saft
Aus meinen Fingern quölle.
Ich zittre nur ich stottre nur
Ich kann es doch nicht lassen
Ich fühl ich kenne dich Natur,
Und so muß ich dich fassen.

Wenn ich bedenk wie manches Jahr
Sich schon mein Sinn erschließet,
Wie er wo dürre Heide war,
Nun Freudenquell genießet
Da ahnd ich ganz Natur nach dir
Dich frei und lieb zu fühlen
Ein lustger Springbrunn wirst du mir
Aus tausend Röhren spielen
Wirst alle deine Kräfte mir
In meinem Sinn erheitern
Und dieses enge Dasein hier
Zur Ewigkeit erweitern.

Erste Fassung ohne Titel, aber mit zwei zusätzlichen Strophen am 5.12.1774 in einem Brief an Merck, mit dem hier verwendeten Titel kurze Zeit später an Lavater gesandt und so 1775 in den Physiognomischen Fragmenten gedruckt. 1789 in bearbeiteter Form unter dem Titel Künstlers Abendlied in Schriften veröffentlicht.

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