Jan Wagner

Wenn ein Lyriker ganz gegen die Üblich­keiten mit einem großen, publikums­wirk­samen Buch­preis ausge­zeichnet wird und dadurch die Gattung für einen Augen­blick in den Fokus öffent­licher Auf­merk­sam­keit rückt, erwacht auch die Literatur­kritik aus ihrem Tiefschlaf. Als bei der Leipziger Buchmesse Jan Wagner zum kleinen Götter­liebling gekürt wurde, war die litera­rische Welt plötzlich voller gön­ner­hafter Jan Wagner-Freunde, die den Autor „wunder­bare“ Natur­dichtung beschei­nigten, eine Lyrik voller botan­ischer Details und natur­kundli­chem Enthu­sias­mus.

Es ist im Falle Wagners ein vergiftetes Lob, das auf den Buchpreisträger herab­regnet. Der form­bewusste Dichter mit „per­fekten Umgangs­formen“ (Denis Scheck), der neben­bei auch ein hervor­ragender Über­setzer britischer und schotti­scher Lyrik ist – er wird hinter vorge­halte­ner Hand als betu­licher Retro-Dichter verdächtigt, weil er gerne histo­rische Requi­siten nutzt.

Wie so oft haben weder die Schmeichler noch die boshaften Kritiker richtig hingesehen. Der 1971 in Ham­burg gebo­rene Wagner wird seit seinem Debütband „probe­bohrung im himmel“ (2001) als form­bewusster Natur-Idylliker miss­ver­standen, der die ganze Flora und Fauna durch­buch­stabiere, vom Weiden­kätzchen bis zur Würge­feige, vom Olm bis zum Otter. Die Wagner-Bewunderer miss­verstehen seine Poesie fast durchweg als natur­fromme Garten-Kunst. (…)

Die finstere Konter­karierung einer Idylle lie­fert auch das Gedicht „das weiden­kätzchen“, das den Spott des „Spiegel“-Kolumnisten Georg Diez auf sich gezogen hat. Diez polterte gegen die „Landlust“, gegen die „Ver­kit­schung der Natur“, gegen ubiqui­täre Nied­lich­keiten. Dabei ist dieses Gedicht nichts anderes als die Geschichte eines grausigen Er­stickungs­todes. Zarte Natur­phäno­mene sind nie artis­tischer Selbst­zweck bei Jan Wagner, sondern prallen zusammen mit den brutalen Fakti­zitäten einer mörde­rischen Lebens­wirk­lich­keit.

Jan Wagner ist nicht der brave Traditiona­list, als der er mitunter belächelt wird. (…) / Michael Braun, Poetenladen (Der gelbe Akrobat)

1 Comments on “Jan Wagner

  1. Hier nochmals: Also Georg Diez ist auch Meterware des immer selben Ich daselbe, warum in Brauns Rezension vom „Urgrund der Finsternis“ und „Styx“die Rede ist … Ich glaube Wagner legt es darauf an, dass der Leser selbst ordentlich Bedeutung hineinschaufelt in seine Gedichte und dann mit der „Tiefe“ des Gedichts seine eigene Klugheit feiert. Feier ich mal meine: Warum übersieht Braun das Joseph-im-Brunnen Motiv im Gedicht? Geht es nicht um den Seher in Spe? … und damit den Dichter uns seine Rolle? Weil christliche Anspielungen immer etwas bieder(meierlich) wirken? (Der Vogelflug, schon bei den Römern etc.)
    Das Gegenschneiden von süßen Weidenkätzchen und Erstickungstod wiederum ist eine Kontrastfigur, wie man sie schon im Barock kennt, man kann sich darüber unterhalten, inwieweit sie bei Wagner gut gemacht sind. Zu einer Feier als sozusagen genuine Wagnersche Kulturleistung besteht aus meiner Sicht kein Anlass. Als Kritik an der Braunschen Rhetorik formuliert: Ich möchte mich, wenn ich solche Fragen stelle, aber nicht als einer verunglimpfen lassen, der Wagner formalistisch missversteht.

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