37. Riskante Bekenntnisse

Zeitgemäß frisch und eigenwillig adäquat hat Judith Zander die „Koloss“-Verse übersetzt. Präziser als mit „flinkflügelig“ und „rattengescheit“ oder den Mischworten „Sonnenklinge“ und „Todesmetall“ kann man das lyrische Ineinandergreifen von Irrealem und konkreter Gegenständlichkeit kaum wiedergeben. Mehrdeutig wandern Bilder und akustische Eindrücke über Versbrüche hinweg. Auffällig sind die von Plath vielleicht zu oft eingesetzten „Wie“-Vergleiche. In den Versen aus „Crossing the Water“ zieht Plath den Vergleichen rasche Perspektivwechsel vor. Da erscheint die Übersetzung des Titels mit „Übers Wasser“ angemessener als „Überfahrt“, weil sie das Prozesshafte der Bewegungen von einer Sprache in die andere überführt.

Auf dem schmalen Grad zwischen Euphorie und tödlicher Traurigkeit wandelnd, gelangen Sylvia Plath vehemente Weltentwürfe aus Spiegelbildern, Rätseln und Träumen. Als Kampfschriften für Feministinnen eignen sie sich keineswegs, obwohl etliche männliche Figuren in den Gedichten allzu dominant, gewalttätig und voller Kälte erscheinen. Es wäre wenig sinnvoll, hinter den in den Gedichten agierenden Figuren nach Vorbildern in der Wirklichkeit zu suchen. „Ich schließ die Augen, und die Welt schlägt hin wie tot: Ich schlag die Lieder auf, und alles ist wie neu geboren. (Ich denk, ich habe dich in meinem Kopf gemacht)“ heißt es in „Liebeslied eines verrückten Mädchens“, das in der Übersetzung von Jutta Kaußen in der Sammlung „Liebesgedichte“ (Insel Verlag 2009) nachzulesen war. (…)

Die Ich-Aussagen in „Crossing“ wirken klarer und bekenntnishafter als die in den frühen Gedichten. „Ich bin vertikal. Aber ich wäre lieber horizontal“ bekennt sie. Das Gefühl, in Lebensumständen gefangen zu sein, die sie nicht mehr beherrschen oder verändern kann, bemächtigt sich ihrer.

Und wo sie diesen Zustand benennt, scheinen die Gedichte tatsächlich so etwas wie „Confessional Poetry“ zu sein – jene Stilrichtung der Poesie der Geständnisse, Eingeständnisse und „Beichten“, die Robert Lowell (1917 bis 1977) pflegte und an der Harvard University lehrte – für Sylvia Plath, Anne Sexton und andere eine Befreiung vom Gebot, die Themen Krankheit, seelische Desaster oder Sex aus der Poesie auszuklammern. Nicht zuletzt mit Sylvia Plath‘ Gedichten wichen die Masken der Moderne riskanten Bekenntnissen zu Befindlichkeiten jenseits der Norm. / Dorothea von Törne, Die Welt

Sylvia Plath: Der Koloss. Suhrkamp, Berlin. 170 S., 22,95 €. – Übers Wasser. Luxbooks, Wiesbaden. 140 S., 22,80 €. Beide übertragen von Judith Zander.

2 Comments on “37. Riskante Bekenntnisse

  1. seit wann hats denn der „wie“-vergleich eigentlich so schwer? ich hatte das schon irgendwie am rande mitbekommen, aber ist das jetzt so was (Achtung) wie das ich- oder reimverbot; nur so ein gegenwärtiger fokus und/oder themenschwerpunkt?

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  2. bei der Verfasserin – und da wundert man sich, jemand wie ich, wer jetzt nicht nur alles die Welt liest sondern auch für schreibt (… aber Jägermeister ist ein noch spektakulärer imagewechsel gelungen … nur mit ernte 23 oder HB klappt das nicht recht usw. also:)
    darf man davon ausgehen, dass dieser ausdruck sich eher den autokorrekturen + programmen und red.robotern verdankt (und nicht dem stellenweise auch recht poetischen jargon der rezension, comme il faut in this day and age); es häufen sich ja solche am stil blühenden beispiele in dpa meldungen, nachrichten texten und auch in feuilletonartikeln:

    „Auf dem schmalen Grad zwischen Euphorie und tödlicher Traurigkeit wandelnd „

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