77. Sanft und gelassen … aus dem Fegefeuer

Nadja Küchenmeisters tritt in ihrem ersten Gedichtband als eine einzigartige lyrische Stimme auf, die sanft und gelassen klingt, obwohl sie mitten aus dem Fegefeuer zwischen Liebe und Tod zu kommen scheint. Seit Ingeborg Bachmann hat niemand mehr ein Du, sich selbst oder den Leser so intensiv fragend angeredet. Sanft tönen die Sprachmelodien der 1981 in Berlin geborenen Schriftstellerin. Die ewigen Themen Willkommen und Abschied, Vergänglichkeit und Einsamkeit laufen als Signaturen, Echos und Spiegelungen zwischen den Zeilen mit. Sie grundieren auch die Verse, in denen von häuslichen Szenen, einem Gewitter oder Aufenthalten in Berlin, Potsdam oder Edenkoben die Rede ist. Wind, Luft, Schatten und Licht strömen anders als in der Moderne durch Nadja Küchenmeisters poetische Räume. …

Permanente Grenzverschiebungen zwischen Sprachbildern, ein unerschöpflicher Vorrat an Klängen wie Binnenreime, Assonanzen, Alliterationen und kaum merklich unterwanderte Versmaße lassen immer neue Perspektiven aufscheinen. / Dorothea von Törne, Die Welt 13.3.

ALLE LICHTER.
Von Nadja Küchenmeister. Schöffling, Frankfurt/M. 104 S., 16, 90 Euro.

Außerdem in dieser Rezension:

ZUNDER.
Von Ulrike Almut Sandig. Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig. 72 S., 12 Euro.

AUS DER KÖLNER BUCHT.
Von Jürgen Becker. Suhrkamp, Frankfurt/M. 104 S., 5 Euro.

6 Comments on “77. Sanft und gelassen … aus dem Fegefeuer

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  4. Was ich eigentlich hatte schreiben wolle, aber davon abgekommen bin: Ich habe sehr genau aufs Datum schauen müssen, bei der Besprechung zu „Lyrik von Jetzt II“. Irgendwie klingt die, als wäre sie vor über einem Jahr geschrieben worden.

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  5. Schöne Gedichte, aber über die Rezension sprechen wir noch mal. (Ich unterstelle Zeitdruck oder Routine. So ist das wenn man Geld mit Rezensionen verdient.)

    Hier noch eine kleine Liste, zusammengestellt aus verschiedenen Buchbesprechungen von Frau von Törne. Die Autoren möchte ich nicht nennen, damit mir keiner unterstellt, ich wolle die Autoren angehen. Wen es interessiert…

    -So schön und streng die Verse zwischen Licht und Meer, Schatten und Staubgesang in sirrender Syntax auch klingen, schwirren sie doch – trotz aktueller Vokabeln wie Scanner und Detektoren – ins Zeitlose, bedienen Imagination und Traumgeschehen.

    -Die Landschaften der Gedichte scheinen aus Stille, Sonne, Wind und klirrendem Eis gemacht zu sein. Gerade treten die Dinge in schöner Klarheit und Genauigkeit hervor – da kommen Figuren ins Bild, lassen Fragen aufstieben und verschwinden wieder. Optische und akustische Wahrnehmungen kippen ins Vage. Sie versinken im Nichts oder in Höllenhundschlünden. Jemand erinnert sich.

    -Der Flüchtling durchquert „immer kältere Zonen der Sprachluft“. Diese „Sprachluft“ ist eine Substanz wie Meer, Licht und Leere und zugleich der eigentliche Ort des Gedichts: schwerelos dahinflirrend und voller gedanklicher Reflexionen in Bildern und Klängen.

    -Über Worteinfälle und haarfeine Verschiebungen von Buchstaben, Lauten und Silben kommen große, existenzielle Themen zur Sprache: Liebe und Tod, Krieg, Umweltkatastrophen und Freiheit.

    -In einer merkwürdigen Kombination aus Abstraktem und Gegenständlichem, aus Eindrücken des Sehens, Hörens, Fühlens und Schmeckens wird das Ich gleichsam durchlässig für Landschaften, Pflanzen, Tiere, Dinge, Temperamente und vor allem frei für menschliche Begegnungen.

    -Manchmal zeigt sich das lyrische Ich allzu skrupulös. Es schwankt zwischen Mut zur Unsicherheit und tragikomischer Geste. Dennoch loten die Gedichte Klangräume aus, in denen einer behutsam sinniert über Zeit und Ewigkeit, Freiheit und Glück, Wahrheit und Täuschung, Wärme und Kälte, innen und außen oder über das Schreiben von Gedichten. Namen für Wasser, Erde, Feuer und Luft werden empfindungsreich neu gemischt

    -Unter Blechspielgetöse und geschmeidigen Troubadouriaden ballen sich Reime und Assonanzen zu wohltönenden Klumpen, während Satzfetzen und Silben über die Seiten vagabundieren. Sprachtrümmer ordnen sich über verblüffende Zeilenbrüche und Mehrfachbezüge zu assoziationsreichen Partituren eines Denk-, Sprech- und Sprachspiels. Originelle Wortschöpfungen vorrangig erotischen Vokabulars, hintergründig eindeutig und dennoch in keiner Verszeile obszön, heben das Buch in den Rang eines neuzeitlichen lyrischen Kamasutras

    -Wo sie aufeinander prallen, werden sie zusammengehalten durch rhythmische Sprechbewegungen, Reime und anderes Klangmaterial. Das Ich aber bleibt eine Leerstelle.

    -Wind, Luft, Schatten und Licht strömen anders als in der Moderne durch ihre poetischen Räume. Sie sind mit den metaphorischen Bedeutungen der Elemente verbunden und zugleich lakonisch präzise und klar. Konkrete Dinge wie der Zaun, der Silberlöffel, das Elsternest, sind stofflich -sinnlich präsent und lösen sich dennoch von den Rändern her auf.

    -Lakonisch und präzise entwickeln die Gedichte aus flächigen Bildbruchstücken soziale, politische und zeitgeschichtliche Sprachräume, – doppelbödig und widerhallend vom Aufeinanderprallen der Gegensätze. Mit Montagen aus populären Schlagerzeilen, umgangssprachlichen Floskeln und Redewendungen erreicht die Lyrikerin Bedeutungsverschiebungen, die unter der Oberfläche der Fotografie sexistisches Denken, traditionelle Rollenzuweisung der Geschlechter und Gewaltstrategien erkennbar machen, ohne dass im Gedicht selbst irgend eine Moral mitgeliefert würde.

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    • Hübsche Liste! Hat sehr viel Spaß gemacht. Macht aber doch etwas Distanz zu deren Verfasserin. Schade, ich hatte mich auch schon gefreut, weil sie mal meiner Meinung war. Aber man sollte eben lieber genauer hinsehen. Dann wird man aber sicherlich auch bei manch anderem Stoff für solche Listen haben.

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