12. Denkwürdige Wirkung einer Hymne

Der Auftakt des Buchs [vom finnischen Nationaldichter Johan Ludvig Runeberg], das Gedicht «Unser Land», ist Finnlands Hymne. Mit diesen Versen schuf der konservative Runeberg, gemäss einer neueren These des Historikers Matti Klinge, einen Gegenpol zur «Marseillaise», die 1848 Europas Revolutionäre beflügelte. Im April jenes Jahres erreichten die Wogen des Aufruhrs auch Stockholm und Uppsala, während in St. Petersburg der Zar die Entwicklung mit wachsender Nervosität verfolgte. In Helsinki erhielt der Musiklehrer der Universität den Auftrag, eine Melodie zu komponieren, und auf dem Frühlingsfest vom 13. Mai setzte dann die Obrigkeit die Hymne als «Anti-Marseillaise» ein. Während Aufständische anderswo zum letzten Gefecht aufriefen, besangen die Studenten auf Helsinkis Strassen zu den Klängen der Gardemusik «Gottes Ehre in der Natur». Der Alkohol floss reichlich, wie die Rechnung des lokalen Schnapshändlers offenbart. Den Damen, die sich in ihren Equipagen dem Festzug annäherten, boten die Studenten, wie ein Professor nach St. Petersburg rapportierte, Wein und Konfekt in Mengen an. Das Fest geriet zu einer Loyalitätserklärung an den Zaren, und Finnland blieb womöglich einiges erspart. / Aldo Keel, NZZ 5.2.04

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