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Veröffentlicht am 25. März 2025 von lyrikzeitung
Heute vor 400 Jahren (aber vielleicht auch gestern oder gar morgen) starb der berühmte Giambattista Marino (oder Marini) in Neapel. Er war ein Stern am Literaturhimmel, der die europäischen Literaturen beeinflusste wie nur wenige. Aber er war auch schon zu Lebzeiten umstritten und nach seinem Tod wurde sein Name zum Inbegriff für Schwulst. „Marinismus“ nannte man die von ihm beeinflusste Strömung insbesondere der sogenannten Zweiten schlesischen Schule (Hoffmannswaldau, Lohenstein). Die junge Germanistik im 19. Jahrhundert sprach gar von der „schändlichsten Epoche“ der deutschen Literatur. Unsere kleine Ehrenstele bringt eine Frühlingsstrophe in der deutschen Fassung von Barthold Hinrich Brockes samt einem Zitat von Brockes über Marino und ein polemisches Sonett aus der Dichterfehde mit Gaspare Mùrtola – die tatsächlich 2013 zum ersten Mal in Auswahl ins Deutsche übersetzt wurde!
Giambattista Marino, auch Giovan Battista Marino, auch Marini
(* 14. Oktober 1569 in Neapel; † 25. März 1625 ebenda)
Giambattista Marino
La Murtoleïde
Fischiata No. 34
Mùrtola, a dirla da fratel carnale
Hai ben il torto a far lo schizzinoso,
Quando con qualche verso grazioso
Altri procura di farte immortale.
Anzi più che se fussi cardinale
Devresti andarne vanaglorioso,
Perch´egli è meglio esser coglion famoso,
Che strappazzar mestiere dozzinale.
Abbine dunque ambizione e zelo,
Che queste baie che facciamo nui
Saranno lette come l´Altobelo.
E poi diran: gran senno ebbe costui
Che non valendo per se stesso un pelo,
S´immortalò ne le fischiate altrui.
Auspfiff Nr. 34
Mein Mùrtola, mal unter Brüdern:
Ist das gerecht, hier das Sensibelchen zu spielen,
Wo alle meine Mühen darauf zielen,
Dass du unsterblich wirst in meinen Liedern?
Das ist doch mehr, bei richtigem Betracht,
Als hättest du´s zum Kardinal gebracht;
Denn ein berühmtes Ei sein bringt mehr Ehre
Als irgend so´ne Dutzendkarriere.
Du solltest hoffen, dass mir meine Reimerei´n gelingen,
Denn die Späße, die sie bringen,
Wird man wie ´n Roman (1) verschlingen.
Das war ein Schlitzohr, wird man sagen:
Von selbst tät keiner nach dem fragen,
Drum ließ er in die Ewigkeit sich von ´nem andern tragen. (2)
(1) Der Altobello oder Altobelo des Originals, 1476 erschienen, war ein beliebter Ritterroman.
(2) Marino sollte in diesem Punkt, wie es scheint, nicht ganz unrecht behalten. In der italienischen Wikipedia liest man: „Gaspare Mùrtola war ein italienischer Dichter und Schriftsteller. Sein Nachruhm bleibt überwiegend mit seiner Fehde mit Giambattista Marino verbunden.“ [Übers. von J.B.] In seinem Brief an den Herzog vom 15. April 1609 verleiht Marino dem Motiv eine melodramatische Wendung: „Wenn ich mich für eine Person von Bedeutung hielte, würde ich glauben, dass Mùrtola, in der Einsicht, dass er im Gedächtnis der Menschen nicht werde fortleben können, sich durch meine Ermordung Unsterblichkeit verschaffen wollte“, vgl. Giambattista Marino, Epistolario Seguito Da Lettere Di Altri Scrittori del Seicento, hg. von A. Borzelli und F. Nicolini, vol. I, Bari 1911, S. 80 [dt. von J.B.].
Aus: Episteln und Pistolen: eine barocke Dichterfehde / Giambattista Marino & Gaspare Mùrtola. Ausgew. und erstmals aus dem Ital. übertr. von Jürgen Buchmann. Leipzig: Reinecke & Voß, 2013
Con stupor di natura il manto vile
Spogliossi il verno , e la canizie antica
Sue pompe in lui la cortesia d’Aprile
Tutte versò con larga mano arnica
Ed arricchì d'un abito gentile
La terra ignuda , e la stagi« mendica
Le spine ornò di intempestivi onori
E maritò con le pruine i fiori.
Der Winter legte gleich / mit stutzen der Natur /
Sein altes dürres Grau und kahlen Mantel ab /
Vom blumigten April sah man so gleich die Spur /
Der mit gefüllter Hand ihm seine Schätze gab.
Es deckt ein buntes Kleid die nackte Schooß der Erden /
Sammt des erfrornen Jahrs sonst Bettel-armen Zeit /
Den Dornstrauch zierete zu frühe Lieblichkeit /
Die Blumen sahe man mit Reiff vermählet werden.
Deutsch von Barthold Hinrich Brockes, aus: Italienische Gedichte mit Übertragungen deutscher Dichter. Zusammengestellt von Horst Rüdiger. Leipzig: Karl Rauch Verlag, 1938, S. 167
Ausgemacht [ist], daß niemahls ein Dichter gebohren worden, dem die Natur ihre wunderbaren Gaben reichlicher mitgetheilet. Niemand hat je eine so unglaubliche Fähigkeit zur Dicht-Kunst, niemand mehr lebhafftes, scharffsinniges und annehmliches zugleich besessen. Daher man ihn billig an Erfindung dem Ariosti, an Majestät dem Tasso, an Kürtze aber sich selbst nur gleich geschätzt. Er war in der Tat ein Glantz der Welschen Wolredenheit, er wußte durch seine geistreiche Einfälle die Gemüther mit wundersamen Reitzungen einzunehmen, weil er sowohl in schertz- als ernsthafften Gedichten vollkommen glücklich gewesen. Kurtz, er erwarb besonders durch seine Lyrische Schreib-Art nicht minder Ruhm als Anacreon, und an Menge selbst-verfertigter Schrifften haben es ihm wenige gleich oder zuvor gethan.
Aus: Episteln und Pistolen, a.a.O.
Kategorie: Italien, ItalienischSchlagworte: Barthold Hinrich Brockes, Gaspare Mùrtola, Giambattista Marino, Jürgen Buchmann
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