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Veröffentlicht am 20. Mai 2024 von lyrikzeitung
Mal was Klassisches, Buntes, und zwar zum Tage.
Gottfried Keller
Berliner Pfingsten
Heute sah ich ein Gesicht,
Wonnevoll zu deuten:
In dem frühen Pfingstenlicht
Und beim Glockenläuten
Schritten Weiber drei einher,
Feierlich im Gange,
Wäscherinnen, fest und schwer!
Jede trug 'ne Stange.
Mädchensommerkleider drei
Flaggten von den Stangen;
Schönre Fahnen, stolz und frei,
Als je Krieger schwangen,
Blau und weiß und rot gestreift,
Wunderbar beflügelt,
Frisch gewaschen und gesteift,
Tadellos gebügelt.
Lustig blies der Wind, der Schuft,
Lenden auf und Büste,
Und von frischer Morgenluft
Blähten sich die Brüste!
Und ich sang, als ich gesehn
Ferne sie entschweben:
Auf und laßt die Fahnen wehn,
Schön ist doch das Leben!
Bild: KI
Kategorie: Deutsch, SchweizSchlagworte: Gottfried Keller
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Hier ist nun wirklich augenfällig, wie das Erzeugnis der künstlichen Intelligenz als Weltgegenstand gerade alles das nicht ist, was Kellers Gedicht ist, und somit schön illustriert, daß Maschinen aus prinzipiellen Gründen menschliches Schaffen nicht illustrieren können. Schöpfertum erschöpt sich eben nicht in statistischem Durchschnitt, und ohne Bewußtsein sind Verstehen und Erkenntnis und damit auch jegliche Originalität ausgeschlossen.
Bemerkenswert ist dabei der strikt antiindividualistische Grundcharakter des Bildes, das von ferne an Walt Disney-Filme im Westen und an den Sozialistischen Realismus im Osten gemahnt.
In summa: das Gegenteil von Pfingsten.
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Ich stimme Ihnen voll zu, dass die KI nicht künstlerisch schöpferisch ist und eine in diesem Fall wortkünstlerische Leistung nicht adequat interpretieren und damit kreativ umsetzen kann. Aber gibt es nur die eine Art von Illustration, die ebendies leistet? Ich wechsle mal zum Verdeutlichen meiner Fragestellung die Gattung und betrachte die Vertonung von Gedichten. Da gibt es die Interpreten, ich nenne mal Bach und Schubert, die Wortkunst interpretiert und in der anderen Kunstform kongenial umgesetzt haben. Goethe mochte Schuberts Vertonungen nicht, offenbar war ihm Schuberts Kunst zu selbstmächtig. Er zog eine mehr dienende Vertonung vor, bei der sein Wort „den Ton angab“. (Wir wissen auch, dass Komponisten Texte so umsetzen können, dass sie überhaupt erst in dieser Form überliefert werden, während die Texte heute ohne die Musik vergessen wären.
Also einverstanden, KI ist nicht zu adäquater künstlerischer Umsetzung fähig. Aber ich meine, es gibt verschiedene Arten von Illustration, nicht nur die kreative. Ich experimentiere ein bisschen mit eher dienenden Formen. Auch das können verschiedene sein. Ein Bild als Eyecatcher ist im Netz „technisch“ sinnvoll, weil zum Beispiel manche Suchmaschinen Beiträge mit Bild auffälliger darstellen – und auch manche Nutzer vielleicht ein Suchergebnis mit Bild unter vielen anderen eher anklicken. „Clickbait“ sozusagen (auch wenn ich hier nichts verkaufe). Eine andere Funktion wäre der Kontrast, wie gestern in einem Kommentar geschrieben wurde. Wenn das Nebeneinander dazu führt, dass jemand darüber nachdenkt, warum das Bild nicht „kongenial“ ist, hat das Bild dann nicht seinen Dienst getan? Klar, Bach ist es nicht. Aber konnte nicht selbst Bach, Pfingsten und Weihnachten hin und her, eine Melodie recyceln für einen ganz anderen Anlass? Oder „O du fröhliche, O du selige“, ist das nicht der Inbegriff des Weihnachtsfests? Und doch hat Falk das fröhlich adaptiert: „o du fröhliche, o du selige gnadenbringende Pfingstenzeit“. Vielleicht könnte man das heute mit KI umsetzen? „Transponiere bitte den Text von „Stille Nacht, heilige Nacht“ so, dass es auf Walpurgisnacht passt!“
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Danke für Ihre Ausführungen. Wir sind hier, scheint mir, in ziemlich allem einer Meinung. Ich bin auch gar nicht der Ansicht, daß man mit künstlicher Intelligenz nicht auch sinnvoll „spielen“ kann – oder sie für praktische Zwecke nutzen.
Mich hatte bei der bewußten Abbildung einfach die im Zusammenhang mit Pfingsten so offensichtliche Diskrepanz zwischen Menschen- und Maschinenwerk gereizt: eben Geist versus Automate, um es mit den Romantikern zu sagen.
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Einverstanden. Mit Augenzwinkern hinzugefügt: zum Glück habe ich meinen ursprünglichen Impuls verworfen. Ich wollte nämlich „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“ posten 🤗😜
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Kölner Pfingsten
„Ein Amboß und ein Mühlenstein
Die schwammen bei Köln wohl über den Rhein,
Sie schwammen gar leise –
Ein Frosch verschlang sie alle beid
Zu Pfingsten wohl auf dem Eise.“
(aus Ernst Moritz Arndt: Das Lügenlied)
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