Constantijn Huygens

Constantijn Huygens (1596 – 1687) war nicht nur ein erfolgreicher Diplomat, Musiker und Vater des berühmten Physikers Christiaan Huygens sondern ist vor allem ein Klassiker der holländischen Literatur, der sich in mehreren alten und neuen Sprachen dichterisch auszudrücken wusste. Die literarischen Konventionen des Barocks ließ der auch als Stegreifdichter zur Legende gewordene Huygens hinter sich, wenn er z.B. die Natur nicht in idealischen Bildern aufnahm, sondern konkrete Orte samt ihren zivilisatorischen Einrichtungen schilderte.

Sein Augentrost, einer erblindenden Jugendgefährtin gewidmet, nutzt den Schreibanlass ähnlich wie Erasmus von Rotterdams „Lob der Torheit“ dazu, ein versöhnlich ironisches Tableau der Gebrechen seiner Mitmenschen zu entwerfen. Beiläufig erweist sich dabei der Freund von Descartes als intimer Kenner der intellektuellen Debatten seiner Zeit. Das Werk liegt hiermit erstmals vollständig auf Deutsch vor.

Dem Leser

‚Ich muss lachen über die Schwierigkeit, die man in meinen Gedichten findet. Ich habe absolut keine Vorliebe fürs Dunkle, wohl aber für ungebräuchliche Wörter, die zugleich kräftig sind, so dass mein Leser, falls er Lust hat, in meine Gedanken vorzudringen, sich für seine Aufmerksamkeit nicht enttäuscht finden wird. Ohne Anstrengung ist die Poesie nur eine fade Sache, die auch den Dümmsten gefällt.‘

(Huygens an seine Eltern, den 8. Juni 1622)

Augentrost ist ein langes Gedicht, für die Lektüre seiner 1002 Alexandriner rechnet Huygens zwei bis drei Stunden (Vers 138). Die Übersetzung katapultiert es in unsere kurzatmige Zeit, in der Kontaktlinsen und Laseroperationen den Trost in Gedichtform in vielen Fällen erübrigen. Die Frage jedoch, ob was wir sehen Wahrheit ist oder Trug, ist nach wie vor aktuell. Das fanden auch die Bürger im Archipel-Viertel Den Haag, als sie sie sich 2015 für ein Mauergedicht von Constantijn Huygens entschieden. Ein kurzes diesmal:

Dromen

Ick denck ’s daeghs of ick droomd‘, ick droom ’s nachts of ick saegh:
Waer ‚t ’s nachts soo doncker niet, en niet soo licht by daegh‘,
‚Ksagh qualick uyt den droom van desen droom te komen,
Of mijn droom dencken is, of mijn‘ gedachten droomen.

(Huygens, Korenbloemen)

Träumen

Wenn Tag ist, denke ich, ich hätt‘ geträumt.
Wenn Nacht ist, träum‘ ich, es wär heller Tag.
Wär Nacht so dunkel nicht und nicht so licht der Tag,
Wer hülfe mir da aus dem Traume dieses Traums?

(Übersetzung Ard Posthuma)

Auszug aus dem Gedicht

Die Maler (jetzt wird’s Ernst!), die Maler, Parthenine,
obgleich aus einer Zunft, der ich mit Achtung diene,
die Maler nenn‘ ich blind, wie scharf ihr Blick auch sei,
sie sind nur schöpferisch durch ihre Pinselei.
Sie spiegeln die Natur und deren schönes Wesen
auf angenehme Art, doch geben sie zu lesen
was echt das Wesen ist, nach ihrem Augenmaß,
der Mutter aller Welt!? Gasse ist auch ’ne Straß‘,
und Hütte auch ein Haus, und Sträucher sind auch Bäume,
doch Gasse, Hütte, Strauch sind Schatten nur und Träume
von Straße, Haus und Baum; wer setzt schon im Vergleich
das Werk von Gottes Hand dem Menschenwerke gleich,
nur weil sie ähnlich sind? Was will man uns da lehren?
Sind sich zwei Tropfen gleich? zwei Äpfel und zwei Beeren?
Und zwei Gesichter erst! Nein, durch Verschiedenheit
in dem was ist und wird und sein wird nach der Zeit,
zeigt sich der Erste Schöpfer über uns erhaben.
Sollte der Mensch für Gott so wenig Achtung haben,
dass sie gar glauben, sie vermöchten, wozu Er
als Künstler, Schöpfer leider nicht imstande wär?
Wie diese braven Leut‘ das Ganze missverstehen!
Solltest mit denen mal im Wald spazierengehen:
bald schwärmen sie dir vor, wie malerisch der sei.
Das ist doch – tut mir Leid – die reinste Blödelei,
als wäre Gott, so klingt’s, ein Meister im Kopieren,
und wir die Schöpfer, die ihm dazu gratulieren,
dass er so schön gemalt, was stammt aus unsrer Hand
und gar noch schöner wär als Wolke, Meer und Land.
Lass‘ von der Schöpferzunft dich einmal porträtieren,
gönn‘ ihnen Ruh und Zeit, dein Antlitz zu studieren,
wie’s Gott geschaffen hat, wie sich ein solcher quält!
Und bist du endlich eingerahmt, dann ist’s total verfehlt!
Ein Etwas schaffen sie, den Bruder, könnt’man meinen,
Du? Deine Frau? Sie wird als Tochter dir erscheinen,
der Vater wie der Sohn, niemals erblickst du: Dich!
Versuch’s ein zweites Mal – genau so ärgerlich!
Wieder ’ne neue Nichte wird man dir bescheren,
und du verzweifelst bald, wer da die bessre wäre.
Der Maler schafft – sieh nur! – mit einem blinden Auge,
sag mir, was neben Gott ein solcher Künstler tauge!

Aus dem Nachwort

Wurde in der ersten handschriftlichen Fassung die Freundin damit vertröstet, dass es auch unter den Sehenden zahlreiche Blinde gebe, wurde im zweiten Zug der ‚Katalog‘, der dem Dichter im Vers 131 bereits vorschwebte, im Nachhinein um zwanzig Figuren erweitert: zu den Geizigen gesellten sich die Prasser, die ganze Reihe von den Fröhlichen bis Eifersüchtigen wurde eingeschoben und zuletzt noch um eine Viererreihe (Gesunde, Kranke, Müßige und Hastige) bereichert. Das Trostgedicht hatte sich zu einem regelrechten Narrenspiegel ausgedehnt.

Ob eine solche Blindenschelte tatsächlich handfesten Trost verspricht, sei dahingestellt. Aber das wirklich Tröstliche dieser Blindenparade verdankt sich wohl weniger der Überzeugungskraft der Argumente als der Tatsache, dass Huygens als Freund sich die Mühe genommen hat, seiner Freundin für zwei bis drei Stunden geistvolle Ablenkung zu bieten. Zu dem Zweck werden nebenher Streitfragen im Bereich der Mathematik, Astronomie, Chemie aufs Tapet gebracht, Unsitten aus dem Bereich der Politik, Mode, Kunst und Zeitgeschichte, bis zu den kleineren Lastern des täglichen Lebens, vom Duellieren bis zur Gewohnheit, beim Lesen die schwierigen Stellen zu überspringen oder beim Dichten sich durch den Reim zu Abschweifungen verführen zu lassen. Das ganze gespickt mit zahlreichen plastischen Vergleichen aus allen Bereichen: Ballspiel, Schifffahrt, Orgelbau und und und. Sie beleben die Darstellung ungemein. Und immer wieder stößt man auf Alltagserfahrungen, die offenbar zeitlos sind.

Constantijn Huygens
Euphrasia. Augentrost
Übersetzt und herausgegeben von Ard Posthuma.
Leipzig: Reinecke & Voß, 2016

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