Bewegung Schwarzer Menschen in Deutschland

An einem Winterabend betreten eine kleine alte Dame und ein alter Herr am Stock eine Bühne in Frankfurt. Sie reden über ihr Leben, dann brandet Applaus auf. Rund 300 Menschen erheben sich von ihren Sitzen zu standing ovations für Marie Nejar und Theodor Wonja Michael: geboren 1930 und 1925, deutsch – und schwarz. Zeitzeugen und Überlebende einer Epoche, in der Menschen wie sie nicht erwünscht waren. Für jene, die sie nun so sichtlich ergriffen beklatschen, sind sie daher ganz besondere Vorbilder dafür, wie schwarze Menschen sich gegen den strukturellen Rassismus einer mehrheitlich weißen Gesellschaft behaupten können – und würdige Schirmherren der an diesem Abend begangenen 30-Jahr-Feier der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).

Jene 30 Jahre, auf die die Bewegung Schwarzer Menschen in Deutschland zurückblicken kann, lässt die ISD nun auch in einem beim Orlanda Verlag erschienenen Sammelband Revue passieren. „Spiegelblicke. Perspektiven Schwarzer Bewegung in Deutschland“ heißt der von mehr als 50 Autorinnen und Autoren gefüllte Band, in dem auch Nejar und Michael porträtiert werden, genauso wie Menschen, die ihre Enkel und Urenkel sein könnten.

Die durch das fast 300 Seiten starke Werk gestreuten Kurzporträts schwarzer Menschen stehen neben stilistisch sehr vielfältigen Beiträgen, die von Gedichten über Erfahrungsberichte und Interviews bis hin zu Sach-Analysen reichen. Sie sind ein Verweis auf jenes ebenfalls bei Orlanda verlegte und für die Bewegung so wichtige Buch, das der neue Band vielfach zitiert: das von May Ayim und Katharina Oguntoye herausgegebene „Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“ aus dem Jahr 1986, in dem schwarze Deutsche erstmals in dieser Form für und über sich selbst sprachen.

(…) „Spiegelblicke“ ist so ein inhaltlich wie stilistisch vielfältiges und sachkundiges Kompendium Schwarzer deutscher Geschichte und Gegenwart geworden. Es stellt sich der ISD-internen Diversität, etwa durch Beiträge ostdeutscher, gehörloser, queerfeministischer, transgeschlechtlicher oder muslimischer Menschen. Und es thematisiert so unterschiedliche Aspekte wie die Stärkung von Kindern gegen Diskriminierungserfahrung, die Aufarbeitung deutscher Kolonialvergangenheit oder Debatten aus Medien und Kulturlandschaft. / Marie-Sophie Adeoso, FR

Diverse Herausgeber: Spiegelblicke. Perspektiven Schwarzer Bewegung in Deutschland. Orlanda Verlag 2016, 302 Seiten, 19,50 Euro.

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