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An die Anderen
(ein Aufruf gegen den open-mike-Appell von Björn Kuhligk)
„In berlin the dogs have no jobs“ (Mara Genschel)
Liebe Autorinnen und Autoren, liebe in der Vorrunde Ausgeschiedene, liebe Teil- und Arbeitnehmer und alle, die sich nichts von allem nennen dürfen!
Ganz bestimmt hat der oder die eine oder andere von euch Björn Kuhligks bodenständigen open-mike-Appell zum Anlass genommen, auf die Tastatur seines MacBook Air (o.ä.) zu kotzen. Das ist gut so. Empört euch! Habt ihr dieses vollbracht, geht aber hin und wischt die Tastatur wieder sauber und rein. Nehmt dafür nicht irgendeinen Lappen, sondern am besten ein Produkt aus der guten Swiffer-Serie. Gehet sodann eurem eigentlichen Beruf nach und schreibt auf dem nunmehr wieder wie neuen Gerät eine authentische, positive Kundenbewertung für das von euch verwendete Säuberungsprodukt. Vier Sterne sind Minimum! Tut dies unter einem eurer zahlreichen, kreativen Pseudonyme. Vergesst überdies nicht, euer Werk sachgemäß zu verlinken.
Seid hierbei stets dankbar, dass ihr euch eure Zeit völlig frei einteilen könnt, wie übrigens überall in der weiten Welt der Selbstständigkeit. So bleibt euch nach dem Tag im Call Center noch genügend Zeit für das Verfassen weiterer suchmaschinenoptimierter Rezensionen. Im Handumdrehen werdet ihr genügend Geld beisammen haben, um euch beispielsweise das erträumte Praktikum in der Literaturwerkstatt Berlin zu finanzieren.
Euren Text „Ein Quäntchen Widerstand“ (AT) reicht bei allen gängigen Publikationsorganen ein. Seht aber zu, dass euch vorher die Pointe entfällt und kürzt ihn entsprechend! Verheddert euch nicht in Verbindlichkeiten. Zu ungenau sind die politischen Träume des Schriftstellers, und zu niedlich. Was dieser heute fordert, haut ihm jener morgen zehnfach um die Ohren. Drum fordert nichts! Danket stattdessen, für was euch gegeben.
Rottet euch fürderhin zusammen und lästert. Seid hässlich, das macht euch interessant. Dokumentiert sodann unvorteilhafte Anekdoten übereinander in einem öffentlich einsehbaren Online-Tagebuch, um euch ein wenig wohlverdiente Erleichterung zu verschaffen. Distanziert euch von euren Kollegen. Andernfalls seid ihr am Ende völlig ununterscheidbar – vor GOtt nicht nur, sondern auch vor der Jury.
Habt ihr aber einmal die Altersgrenze für Wettbewerbe überschritten, so verfasst Appelle in autoritärem Ton und platziert sie in Foren wie diesem. Macht hierfür vom Imperativ reichlich Gebrauch. Geizt auf keinen Fall mit dem Imperativ, er macht schön!
Mara Genschel
Quelle: lyrikkritik
Um diese Rede von Björn Kuhligk (http://bit.ly/1xHLWg3) und natürlich um die oben zitierte Erwiderung von Mara Genschel.
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Beißende Polemik, genau placierter Punch. Kompliment! Aber welches Wort ist besonders giftig? Ich würde sagen: „bodenständig”.
Mir war Kuhligks Ansprache auch viel zu steif und lehrerhaft, ein fürsorgliches Drüberziehen mit dem Rohrstock, das ich mir verbitten würde, wäre ich Autor.
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Peter Stuyvesant nimmt eine Auszeit
Frag nicht nach Fließen, frag nur
nach Fleiß; hier fließt nichts, hier
brodelt der Schweiß.
Ich sitze am Nachbartisch,
schaue herüber, verliebt in das
eigene Wollen. Ich kann mir
nicht merken und will mir nicht
merken, was mir hier und da
einfällt, in Wien/ Rom/Tokio/New
Orleans, von A nach B, von C
nach D, unter Hochdruck auf
dem Flughafen, in der Bahn, in
der Mittagspause: Notizbuch und
Stift sind mein Schild und mein
Schwert; ich lobe, preise, feiere
meine Meise, die sich spreizt
in selten blassen, blutleeren
Gedichtattrappen. Straßen & Plätze,
Scotch & schöne Frauen, das Blaue
vom Himmel, – alles ist seliger
als ein Düsen- klipper, der mir
durch den Kopf rauscht. Also
ich stoppe, unterbreche
den Gedanken und notiere:
»Meine Schreibe ist unglaublich
mies, aber unsterblich.«
Montage mit Anleihen aus einer Selbstbetrachtung von Björn Kuhligk (»Björn Kuhligk nimmt eine Auszeit«, Die Welt, 11. Januar 2014), aus einem Sonett von Thomas Kunst (»Das Einfachste: sie meiden die Vergleiche« aus: »Die Arbeiterin auf dem Eis«, Edition Azur, Dresden 2013, S. 25), aus einem Gedicht von Liesl Ujvary (»Peter Stuyvesant macht eine Reise« aus: »Sicher und Gut«, Rhombus/dumreicher, Wien 1977, S. 31) und aus einer Rezension von Hans-Dieter Schütt (»Dennoch!«, Neues Deutschland, 14. Januar 2014).
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Ist nicht abzuwiegeln. Danke, Mara!
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ja, funktioniert. ein wort ist besonders giftig.
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Naja.
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ach gottchen. (könnte man auch unter björns text kommentieren)
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Erwirb neues Wissen, während du das alte überdenkst, so wirst du anderen zum Lehrer.
Kong Qiu,
Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
Konfuzius
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