45. Arsenij Tarkowski

Ein elegischer Ton durchzieht alle Gedichte Arseni Tarkowskis, ob sie über den Lauf der Dinge sinnieren oder Biografisches heraufbeschwören («Der Wald von Ignatjewo», «Feldlazarett»), ob sie Natureindrücke wiedergeben («Regen», «Olivenhain») oder verstorbene Kollegen betrauern («Dem Andenken Anna Achmatowas»). Selbst die Liebesgedichte – dazu gehört auch ein eindrückliches Widmungsgedicht für Marina Zwetajewa, deren Freitod, 1941, das Verhältnis jäh beendete – wissen um Vergänglichkeit und Wehmut, denn in kosmischen Relationen gedacht ist jedes menschliche Schicksal eine winzige Passage und das Gewesene oft nur eine «Gedächtnislüge». Was nicht hindert, dass Tarkowski dem Dichterwort einiges zutraut: «Das Wort ist eine Membran, / eine Hülle, ein sinnloser Laut. / Ein Punkt, ein Kern – irgendwann / pulst er als ein fernes Feuer auf. (. . .) Das Wort ist blosse Verstellung, / ein unfertig menschlich Fohlen, / jede Zeile in ihrer Verschwörung / wetzt das Messer im Verborgenen» («Das Wort»).

Tarkowski musste sich endlos gedulden, bis seine Poesie aus dem Verborgenen an die Öffentlichkeit gelangen konnte. In den dreissiger Jahren als «Mystizist» gebrandmarkt, schrieb er in die Schublade und übersetzte. Erst 1962, mit 55 Jahren, erschien seine erste Gedichtsammlung, «Vor dem Schnee» – und machte ihn schlagartig berühmt. (Zufall oder nicht: Zeitgleich brachte Sohn Andrei seinen ersten Film, «Iwans Kindheit», heraus.) / Ilma Rakusa, NZZ

Arsenij Tarkowskij: Reglose Hirsche. Ausgewählte Gedichte. Russisch und deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Martina Jakobson. Edition Rugerup, Berlin/Hörby 2013. 156 S., € 19.90.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..