27. Stoßseufzer
Veröffentlicht am 6. Oktober 2013
von lyrikzeitung
1 Kommentar
Stereotypen sind vermutlich wichtig, wofür auch immer. Niemand kommt ohne sie aus, ersie sei denn EinsiedlerIn. Jeden Tag trifft man sie in Medien, auch bei den sog. „sozialen“ (sind die andern eigentlich die asozialen?). JedeR verwendet sie auch regelmäßig. Und jedeN stören die der andern, klar.
Ein vertrautes Klischee ist die Überförderung. In der Regel von Leuten mit festem Einkommen verwendet, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß Unterbezahlte es auch gwebrauchen. Zuviel Förderung verderbe den Charakter oder das Talent, kann man hören, „Hungert sie aus!“, das schrieb sogar ernsthaft eine Qualitätszeitung.
siehe auch hier und hier.
Ich wies bei dem jüngsten medialen Klagruf wegen Überdüngung (siehe hier) auf den Widerspruch hin, daß gesagt wird, Berlin vergebe nur 12 Stipendien pro Jahr, bei geschätzten 1200 Autoren, und gleichzeitig Überförderung beklagt wird.
Ich rücke die Zitate noch einmal ein:
- Der Berliner Senat spricht von zwölfhundert Autoren, die in der Hauptstadt leben. Wie und nach welchen Kriterien sie erfasst werden, ist nicht klar. Berlin gibt deutschlandweit am meisten für Künstlerförderung aus: jährlich etwa 20 Millionen Euro. Nora Bossong, Roman Ehrlich, Helene Hegemann, Kevin Kuhn, Inger-Maria Mahlke und Tilmann Rammstedt haben in den teils über fünfzehn Jahren, die sie hier leben, keine Förderung von der Stadt Berlin erhalten. “Am Ende”, fasst Mahlke zusammen, “gibt es eben für alle Schriftsteller in dieser Stadt nur zwölf Stipendien.”
- Junge Schriftsteller werden, wie Nora Bossong sagt, oft überfördert: “Es sollte nur so viel Anschub geben, wie danach auch weiter geleistet werden kann. Sonst wird man in eine Sicherheit hinein getragen, die plötzlich abbricht, die nur Illusion gewesen ist.”
Hätten sie nur recherchiert! Eine schnelle Wikipedia-Suche ergibt, daß Nora Bossong in vielen Städten Zuwendungen erhielt, darunter mehrmals in Berlin. Ähnlich Tilmann Rammstedt (okay, wohl nicht von der Stadt Berlin).
Nora Bossong
- 2001 Preisträgerin Treffen Junger Autoren
- 2001 Bremer Autorenstipendium
- 2003 Klagenfurter Literaturkurs
- 2004 Leipziger Literaturstipendium
- 2005 Prosawerk-Stipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung
- 2007 Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis
- 2007 Berliner Senatsstipendium
- 2008 New York-Stipendium im Deutschen Haus
- 2010 Stipendium des Heinrich-Heine-Hauses der Stadt Lüneburg
- 2011 Kunstpreis Berlin (Literatur) der Akademie der Künste Berlin
- 2012 Peter-Huchel-Preis für Sommer vor den Mauern
Tilmann Rammstedt
- 2001 Gewinner des 9. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin
- 2003 Kulturpreis der Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland (Förderpreis)
- 2005 Kasseler Förderpreis Komische Literatur der Stiftung Brückner-Kühner
- 2006 Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler
- 2008 Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds
- 2008 Haupt- und Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis
- 2008 Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis
- 2009 Literaturpreis der deutschen Wirtschaft
Bevor sich jemand entrüstet, nicht ich spreche von Überförderung. Ich gönne den genannten Autoren ihre Förderungen und den vielen Ungenannten, von denen ich auch viele kenne, auch. Ich empfehle etwas mehr Gründlichkeit, nicht nur aber auch ZeitungsschreiberInnen. Mehr Gelassenheit auch. Etwas mehr Zurückhaltung bei stereotypen Äußerungen gegenüber der Presse. Neue Ideen zu den üblichen und eventuellen anderen Förderungsmaßnahmen. Warum nicht bei Nachbarländern nachsehen? Warum nicht statt über Förderung auch mal über Bezahlung reden, wie Mara Genschel vorschlug?
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Bossong, übrigens, erhielt das Berliner Senatsstipendium gleich zweimal, 2012 erneut. (http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-kultur/kulturfoerderung/literatur/2012_autorenstip..pdf?start&ts=1338456569&file=2012_autorenstip..pdf)
(Sowas weiß Wikipedia nicht unbedingt, aber es wissen immer diejenigen, die sich im selben Jahr erfolglos beworben haben ;-))
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