5. Mutiger Protestbrief 1984

Der Protestbrief von sieben deutschen Autoren aus Temeswar an die RKP* 1984, die letzte Großaktion der genannten Autorengruppe in Rumänien vor der Wende, muss zu den wenigen richtigen öffentlichen Protestaktionen gegen Partei und Diktatur in jener Endzeit des Ceausescu- Regimes gezählt werden. Obwohl die mutige Aktion – Manche sahen sie als Kamikaze-Aktion an – im Westen großes Aufsehen erregte, ist diese Episode selbst zwei Jahrzehnte nach der Wende vielen, nicht nur den Zeitgenossen aus der hiesigen deutschen und der Mehrheitsbevölkerung, sondern vor allem der jüngeren Generation, leider noch immer eine Unbekannte. Und das spricht Bände über Willen und Interesse an einer wahrheitsgetreuen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit hierzulande.

[In dem Protestbrief heißt es:]

Wir, junge Schriftsteller mit Temeswar, möchten Sie über folgende Tatsachen informieren:

Am 19., 20., 21. und 24. Juli und,am 20. August, dieses Jahres ist unser junger Kollege Helmuth Frauendorfer, Absolvent der Philologischen Fakultät in Temeswar (1984), der ein beachtliches literarisches Debüt sowie eine vielseitige künstlerische Betätigung (er hat die Theatergruppe des Studentenkulturhauses betreut) und eine publizistische Tätigkeit (als Verantwortlicher der deuschsprachigen Seite der Zeitschrift ,,Forum studentesc’“) aufzuweisen hat, vom Sicherheitsdienst, und zwar von Oberstleutnant Nicolae Păduraru und von Major loan Adamescu verhört wurde. Während des Verhörs ist unser Kollege beschimpft und beleidigt worden, und einmal von Major Adamescu auch geschlagen worden. Er wurde aufgefordert, vorformulierte Erklärungen zu unterschreiben, in denen er bestätigt, daß er ,,staatsfeindliche Gedichte“ schreibe und ähnliche Aktivitäten betreibe. Ebenso hat man von ihm gefordert, Erklärungen zu unterschreiben, die besagen, daß wir, die wir diese Beschtverde unterschreiben, ihn im Sinn dieser ,,staatsfeindlichen Aktivitäten“ beeinflußt hätten. Dies, so der Sicherheitsdienst, sei auch durch den Literaturkreis der Schriftstellervereinigung in Temeswar ,,Adam-Mütter-Guttenbrunn“ geschehen, der von Oberstleutnant Păduraru als „Räuberhöhle“ bezeichnet worden ist. Die ,,Räuberhöhle“ wird vom Schriftsteller Nikolaus Berwanger, Sekretär des Schriftstellerverbandes, geleitet. Einige der Unterzeichner dieser Beschwerde sind Mitglieder des Literaturkreises.

Wir haben uns entschlossen, diesen Brief zu schreiben, da, der Zwischenfall mit unserem jungen Kollegen, der— nebenbei gesagt — mit einem schriftlichen Verweis endete, nicht der erste dieser Art ist. Seit Jahren werden wir von den Vertretern des Innenministeriums aus Temeswar belästigt. Was wir schreiben, wird tendentiös umgedeutet, um zu beweisen, daß unsere Tätigkeit subversiv ist. Man verweigert uns Auslandsreisen, es fanden Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt. Einigen Kollegen wird die Aufnahme in denSchriftstellerverband verweigert, obwohl sie die nötigen Bedingungen dafür erfüllen. Junge Schriftstellerkollegen, die am Anfang ihrer literarischen Laufbahn stehen, werden eingeschüchtert oder durch Erpressungen gezwungen, mit dem Sicherheitsdienst zusammenzuarbeiten u.a.m.

Es ist offensichtlich, daß dieser Tatbestand nicht Iänger andauern darf. Wir sehen darin eine offenkundige Verletzung der Rechte der Minderheiten unseres Landes, und letztlich eine Mißachtung der Beschlüsse des IX. Parteitags, der, wie bekannt, für unsere Gesellschaft eine neue demokratische Basis geschaffen hat. (…)

Temeswar, September 1984

Die Unterzeichner

Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, Richard Wagner, William Totok, Johann Lippet, Horst Samson, Balthasar Waitz.”

Die Folgen waren dramatisch: Ab Januar 1985 wurden die deutschen — aber auch die rumänischen und serbischen — Sendungen des Temeswarer Rundfunks eingestellt. Dieser Maßnahme war einige Zeit vorher schon das Verbot der deutschen und ungarischen Fernsehsendungen vorausgegangen. Der ,,Adam-Müller-Guttenbrunn“- Kreis nahm nach den Zwischenfällen seine Tätigkeit nicht wieder auf.

/ Balthasar Waitz, Banater Zeitung

* Rumänische Kommunistische Partei

6 Comments on “5. Mutiger Protestbrief 1984

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  2. Zum Anfangssatz des Briefes – da scheint es mit der Software in Problem zu geben, anstatt „AUS“ schreibt das System „mit“ – mit anderen Worten, das System schreibt mit!!! Ist das nicht herrlich?

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  3. In der wiedergabe des Brief-Anfanges ist hier ein Druckfehler unterlaufen. Korrekt lautet der erste Satz wie folgt:

    „Wir, junge Schriftsteller mit Temeswar, möchten Sie über folgende Tatsachen informieren:…“

    Der Protest und die bei diesem Anlass von mir vorgetragenen sehr weitreichenden Forderungen hatten gravierende Folgen: Bedrohung mit langen Gefängnissstrafen durch den damaligen Chef der Temeswarer Securitate, Cristescu, persönlich; Veröffentlichungsverbote für einige der Beteiligten, auch für mich; in meinem Fall dann im März 1986 Morddrohung … und nach etlichen weiteren Schikanen die Emigration in die Bundesrepublik Deutschland. Richard Wagner und Herta Müller verließen am 5. März 1987 (?) das Land, ich am 6. März 1987. Es folgten im Frühjahr William Totok und im Sommer Johann Lippet, und einige Zeit später noch Helmuth Frauendorfer. Balthasar Waitz konnte in Temeswar bleiben, wo er bis heute schreibt und arbeitet. Es war ein schwerer Aderlass für die „rumdeutsche Literatur“, wie ich die rumäniendeutsche Literatur damals bezeichnete. Ich sollte mich mit dem „Rumdeutschen“ täuschen, auch heute wird im Banat und in Siebvenbürgen deutsch gedichtet und geschrieben, werden Lesungen abgehalten und Bücher veröffentlicht.

    Für alle, die sich dafür interessieren und wissen möchten, wie weit meine damaligen Forderungen an die Partei- und Staatsführung, letztlich an den Diktator, reichten, sei hier der gesamte Forderungskatalog wiedergegeben, wie ich ihn zwei Tage vor der direkten Auseinandersetzung im Oktober 1984 formuliert habe.

    [in Meldung 7 eingefügt, MG]

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