90. Der Freiligrath-Prozess

Der Dichter Ferdinand Freiligrath durchlebte 1848 einen Prozess um freie Meinungsäußerung und dichterische Freiheit, wie man sich ihn in vielen Ländern der Welt auch heute gut vorstellen kann, wenn beispielsweise von festgenommenen Bloggern berichtet wird. War sein Gedicht „Die Todten an die Lebenden“ ein Aufruf zur Gewaltanwendung? Im folgenden Teil unserer kleinen Freiligrath-Reihe mit den damals veröffentlichen Verhandlungsmitschriften werden wir in den „Fall“ eingeführt und lesen, was die Zeugen dazu sagten.

Es war in den ersten Tagen des Augustes, als mit einem Male überall in unserer Stadt ein Gedicht von Ferdinand Freiligrath: „Die Todten an die Lebenden“*) — genannt, gekauft, gelesen und besprochen wurde. Es machte dasselbe solches Aufsehen und nahm so sehr die öffentliche Meinung in Anspruch, daß wir das Erscheinen des Gedichtes wohl „ein politisches Ereignis“ nennen dürfen. Vielen war das Gedicht eine unwillkommene Gabe, viele dagegen begrüßten es; alle aber sprachen die gleiche Besorgnis aus, der Dichter könne leicht dadurch auf einige Zeit in Untersuchungshaft gebracht werden.

/ Dirk Jürgensen, einseitig.info

*) Zuverlässiger ist der Text bei Wikisource, vgl. Kommentare

2 Comments on “90. Der Freiligrath-Prozess

  1. Ein Fehler? In der zweiten Zeile der vierten Strophe befindet sich eine Inkongruenz, die sich in meiner Ausgabe zumindest nicht so findet. Dort heißt es: „Weh euch, wir haben uns getäuscht! Vier Monden erst vergangen,/ Und alles feig durch euch verscherzt, was trotzig wir errangen!“ Das ist inhaltlich und vom Reim her auch plausibler.

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