11. „Ich war ein Propaganda-Autor“

Die subversive Freude am Zuhören entdeckte Liao, als er wegen seines Tiananmen-Gedichts „Massaker“ zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. „Davor war ich ein Propaganda-Autor wie alle anderen auch, die im staatlichen Schriftstellersystem arbeiten“, meint Liao mit einem Seitenhieb auf chinesische Literaturstars wie Mo Yan oder Yu Hua, die einst seine Kollegen waren und sich heute nicht mehr trauen, mit ihm Kontakt zu haben oder öffentlich über seine Werke zu sprechen. …

Nach Maos Tod versuchte er vier Jahre lang vergeblich, die Universitätsaufnahmeprüfung zu bestehen und begann dann bei einer Zeitschrift zu arbeiten, wo er bald als wortgewandter Dichter auffiel und vom Kulturministerium in die Riege der Staatsschriftsteller aufgenommen wurde. Obwohl er mit Lobliedern auf die Partei seinen Lebensunterhalt verdiente, engagierte er sich auch in der literarischen Untergrundszene, in der nicht Deng Xiaoping den Ton angab, sondern Bob Dylan. Doch am 4. Juni 1989 endete der kulturelle Frühling. „Wir erleben ein Massaker in diesem Land der Utopien. Der Regierungschef braucht sich nur zu erkälten, und schon müssen die Massen mit ihm niesen“, schrieb Liao damals in einem Gedicht, das er mit vor Wut bebender Stimme seinen Freunden vortrug, die es auf Kassetten weiterverbreiteten, wodurch es bei den traumatisierten Studenten bald Kultstatus gewann. / Bernhard Bartsch, FR 3.3.

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