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Dem Poetenladen vergleichbar bringt auch fixpoetry.com Woche für Woche so reichlich Material, daß man kaum nachkommt. Vorige Woche hatte ich mir u.a. einen Aufsatz von Frank Milautzcki über 5 Übersetzungen eines Rimbaud-Gedichts vorgemerkt. Diese Woche gibts längst Neues, aber hier ein Hinweis auf Rimbaud von voriger Woche:
Arthur Rimbaud
Sensation
Par les soirs bleus d’été, j’irai dans les sentiers,
Picoté par les blés, fouler l’herbe menue:
Rêveur, j’en sentirai la fraîcheur à mes pieds.
Je laisserai le vent baigner ma tête nue.
Je ne parlerai pas, je ne penserai rien:
Mais l’amour infini me montera dans l’âme,
Et j’irai loin, bien loin, comme une bohémian,
Par la nature, – heureux comme avec une femme.
(20. April 1870)
Sommerahnung
Ich werd die Abendpfade in den blauen Sommer gehen,
das Korn sticht mich und will den Träumerfüßen raten
den Weg im abendkühlen dünnen Gras dahinzuwehen.
Ich lass dazu den nackten Kopf im Winde baden.
Das Sprechen und das Denken lass ich sein, und spür,
es wächst in meinem Herzen neues Lieben ein, ins Hier
und weit in die Natur hintreiben, ihr vertrauen,
will ich, zigeunerhaft und glücklich, wie mit Frauen.
Nachdichtung Frank Milautzcki (April 2007)
1910 erschienen Paul Zechs erste Übertragungen der Dichtungen Arthur Rimbauds – er arbeitete insgesamt mehr als vierzig Jahre an ihnen, sie umfaßten am Ende Rimbauds gesamtes lyrisches Werk und das Manuskript wurde erst zwei Jahre vor seinem Tod, 1944 in Buenos Aires, wohin er vor den Schergen des Dritten Reiches geflohen war, abgeschlossen. Erschienen ist es erstmals 1963, herausgegeben aus dem Nachlaß, als preiswertes Taschenbuch bei dtv und so fand es entsprechend weite Verbreitung.
Der beim Vergleich der fünf vorliegenden Fassungen am meisten abweichendste Text beeindruckt zunächst durch seine Kürze und Würze. Zechs erste Zusammenfassung „Rimbaud. Das Gesammelte Werk“, das bereits 1927 erschien, zählte lange „zu den repräsentativen Nachdichtungen unserer Generation“, so befand Stefan Zweig 1928. Durch ihre sprachliche Gewandtheit, ja dichterische Klasse bereiten sie rasches, eindeutiges Lesevergnügen und solange man keine Urfassungen oder andere Varianten zum Vergleich besitzt, scheint mit ihnen auch alles in Ordnung. Liest man jedoch quer und betrachtet die Alternativen, fällt auf, dass Zech sich weit und zwar deutlich zu weit vorgewagt hat. Vielleicht hat gerade die lange Feinarbeit an den Texten, das immerwährende Verbessern, Straffen, Kürzen, Umstellen, Nachmalen zwar zu ganz eigenen Interpretationen geführt, aber eben zu spürbar Zech’schen Interpretationen. So schäumt bei ihm der Mohn, das weist uns tatsächlich auf den Feldrand hin, aber von dort schickt er den 15jährigen Arthur Rimbaud in die „blaue Ewigkeit“. Das ist ein schönes und gelungenes Bild, aber nichts davon, gar nichts, findet sich bei Rimbaud. Zu soviel Essenz war der zu Dichten Beginnende bei aller Genialität nun wirklich nicht (noch nicht) befähigt. Aus der Kenntnis seiner späteren Größe auch die frühen Gedichte in eine Form zu schicken, die große Reife und eine Art Vollendung zeigen, das wird der Sache nicht wirklich gerecht. …
Meine erste Fassung entstand zunächst ohne genaue Kenntnis des Urtextes, spaßeshalber als Fingerübung, um zwischen den drei anfangs mir bekannten Übertragungen eine Mitte zu finden. Ich wollte das Staksige weg haben und das Ungelenke und erst mal Fluss reinbringen und es entstand eine lesbare Version, die mir ganz gut gefiel. Ich erschrak allerdings nicht wenig, als ich dann das französische Original las und mir eingestehen mußte, wie weit die Texte mich vom eigentlichen Ton und den ursprünglichen Satzlängen fortgelockt hatten. Ich fing noch einmal neu an. Nach drei Stunden Arbeit landete ich bei der vorliegenden Version und beließ es dabei. Ende der Spielerei.
Am Abend fand ich eine wirklich gute, aktuelle Übersetzung – die hier abschließende Version von Thomas Eichhorn. Sie ist im Metrischen nah am Original und auch das Inhaltliche präsentiert sich eindeutig und flüssig. Thomas Eichhorns Nachdichtungen ersetzen heute – mehr als zurecht! – diejenigen von Paul Zech im dtv-Programm.
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