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Es ist erstaunlich: Bislang ist ein Thema fast ganz ausgespart worden, obwohl es dem Kopftuch wahrlich am nächsten liegt: Das Haar. Das Kopftuch ist in aller Munde, vom Haar redet niemand. Dabei stellen wir fest, dass die europäische Kultur und das Haar fast Synonyme sind. Mit der Geburt der (geschrieben überlieferten) Poesie ist auch das Haar geboren: Bei Archilochos, bei Sappho. Im Hohelied Salomos wird das Haar besungen (»Dein Kopf auf dir/ wie der Karmel/ und das offene Haar deines Kopfes/ wie Purpur-/ ein König ist verstrickt ins Gelock«, VII 6 oder: »Dein Haar/ wie eine Herde Ziegen/ die herabwogen vom Gil’ad«, IV 1, Übersetzung Reichert). Man stelle sich die Freskenmalerei seit Pompei und die Malerei seit Dürer ohne Haar vor. Ist das Buch über das Haar im Film schon geschrieben? Das Haar spielt in der gesamten europäischen Kulturgeschichte eine wichtige Rolle als erotische Metapher mit ihrer Spannweite bis zum Tod (Celan).
Das ist aber nur die eine Hälfte. Die andere: Die erotische Imagination hat sich in dieser europäischen Tradition als öffentliche Kraft etabliert. Eros als Liturgie: Liturgie bedeutete ursprünglich: Der Beitrag der Mitglieder der Gemeinde zum Wohlergehen des Ganzen; man kann es so formulieren: Erotik als öffentlicher Dienst. Aphrodite hat viele Beinamen, aber eben auch diesen: Aphrodite Pandemos: Die dem ganzen (attischen) Volk Gemeinsame. Properz, Catull, Ovid – sie haben geistreich und witzig das Spiel mit erotischen Phantasien gespielt.
Also ist das Kopftuch ein Atavismus. Der Vorstellung, es bedürfe des Kopftuches als Zeichen der »sexuellen Nichtverfügbarkeit« (BVerfG), liegt aus europäischer Sicht ein Missverständnis zugrunde. Das Haar ist zwar nicht Zeichen der sexuellen Verfügbarkeit, wohl aber der erotischen. Der Schritt zur öffentlichen Darstellung und gleichzeitigen Sublimierung der erotischen persona, den das Altertum nicht erst mit Praxiteles’ Aphrodite von Knidos, der ersten völlig unbekleideten Aphrodite-Skulptur, gemacht hat, ist von den meisten Gesellschaften des Vorderen und Mittleren Orients unter dem Islam nicht mitgegangen worden. In Europa hat das Christentum zeitweise versucht, diese Lebenskraft umzumünzen in fromme Unterwürfigkeit. Die Renaissance hat dem ein Ende gesetzt.
Und zweitens: Die Selbstbestimmung bewährt sich nicht durch Kaschieren des Weiblichen, wofür das Kopftuch steht. Octavio Paz, damals schon 80 Jahre alt, hat in seinem Buch Die doppelte Flamme – Liebe und Erotik nachgezeichnet, dass die Emanzipation der Frau im hellenistischen Griechenland, im Rom der Antike, in der Zeit der höfischen Liebe stets ein subversiver Akt, eine Häresie war, die mit freierem Leben der Frau und mit unverhohlenem Selbstbekenntnis zur Weiblichkeit einherging. Übrigens spielte dabei die arabische Form der cortesia, die die Kreuzzügler in Spanien kennen gelernt haben, eine besonders fruchtbare Rolle (Paz, 97 f.).
Ganz ohne Häme: Lassen wir Frau Ludin (mit Kopftuch) unterrichten über die persische und arabische Liebeslyrik der islamischen Zeit. Die Schüler würden entdecken, dass die Augenbraue von großen Poeten des Vorderen und Mittleren Orients in immer neuen und immer kühneren Bildern besungen wurde, von Hafis, von Nezami – genau wie das Haar in Europa. Der winzige Haarstreifen über dem Auge, über dem Eingang zur Seele, genügte, eine Kultur verführerischer Phantasie gedeihen zu lassen und sie öffentlich zu machen. Diese orientalische Poesie lehrt uns: Das Kopftuch ist unzulänglich, es erfüllt seinen Zweck gar nicht. Konsequent ist allein die Burqa.
Alles das sind freilich weder Argumente gegen diese oder jene Frau, die es vorzieht, ihr Haar in der Öffentlichkeit zu bedecken, noch sind es Argumente, das Tragen des Kopftuches im Unterricht zu verbieten. Auch das Verbot des Kopftuchs ist ein Atavismus.
Victor Pfaff, aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 6/03, Dezember 2003.
Folgen ein paar haarige Stellen aus Hafis – auch wenn sie nicht allemal züchtig verhüllt scheinen (Zusammenstellung M.G.):
Keiner kann sich aus den Banden
Deines Haars befreien,
Ohne Furcht vor der Vergeltung
schleppst du die Verliebten.
(Joseph von Hammer-Purgstall)
O trockn‘ Hafisens Antlitz ab
mit Spitzen deines Haars:
Wo nicht, so bricht der Tränenstrom
des Lebens Bau entzwei.
(Friedrich Rückert)
Bräuten in der Locken Ranken,
denen Schleier, leicht und licht,
Halb nur hüllen den Gedanken,
gleicht, o Hafis, dein Gedicht.
(G. Jacob)
Bei Cyrus Atabay liest sich die gleiche Stelle so:
So wie Hafis weiß es keiner,
heimlichste Gedanken bloß zu legen,
seit die Feder der Rede Scheitel kämmt!
(…)
Von Hafis jedes Härchen
in Händchen eines Liebchens:
Schwer ist es Posto halten
auf solcher Lagerwacht!
(Friedrich Rückert)
Die Veilchen setzt in Verwirrung
ein Lockenwallen von dir,
Und Knospen sprenget ein Lächeln
der Mundkorallen von dir.
(Friedrich Rückert)
Sieh ein Windhauch in die Locken
Hat die Welt für mich verfinstert!
Dieses also ist der Nutzen
den mir deine Locken bringen.
Ruhe hatte sich mein Herz
In dem Netze aufgefangen,
Sieh da rollten auf die Locken,
Und entflohen war die Beute.
Wüßte der Verstand, wie selig
Herzen in den Locken ruhen,
O es würden die Verständ’gen
Unsrer Bande wegen närrisch.
Einen Vers vom Schönheitskoran
Hat mir dein Gesicht enthüllet,
Deshalb atmen meine Verse
Hohe Schönheit, reine Anmut.
(Hammer-Purgstall)
Vor deinem Angesicht
der Mond nicht Schimmer hat;
die Rose keinen Glanz
vor deinen Wangen hat.
Des Herzens Posten sind
Der Augen hohe Brau’n;
Solch einen schönen Ort
kein Fürst und König hat.
…
Hafisen schmähle nicht,
Er liegt anbetend da,
Ein Freigeist in der Lieb‘
Auch keine Sünde hat.
(Hammer-Purgstall)
Ich sprach: »Was ist die Lippe?« Er sprach: »Ein Lebensborn.«
»Dein Mund, was ist er?« sprach ich. Er sprach: »Ein Zuckerkorn.«
Ich sprach: »Das, was du sagtest, sagt eben auch Hafis.«
Er sprach: »Die schönen Geister begegnen sich gewiß.«
(Ritter V. von Rosenzweig-Schwannau)
Locken, haltet mich gefangen
In dem Kreise des Gesichts!
Euch geliebten braunen Schlangen
Zu erwidern hab ich nichts.
Nur dies Herz, es ist von Dauer,
Schwillt in jugendlichstem Flor;
Unter Schnee und Nebelschauer
Rast ein Ätna dir hervor.
Du beschämst wie Morgenröte
Jener Gipfel ernste Wand,
Und noch einmal fühlet Hatem
Frühlingshauch und Sommerbrand.
Schenke her! Noch eine Flasche!
Diesen Becher bring ich Ihr!
Findet sie ein Häufchen Asche,
Sagt sie: Der verbrannte mir.
(N.N.)
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