Himmelsphysik und Poesie: der Dichter Oswald Egger

Der Kreis ist ja seit Nikolaus Cusanus und Meister Eckhart eine Grundhieroglyphe der Mystik, ein Ort des Göttlichen, der Schutz bietet und Kraft ausströmt. Eine diskrete Pointe in Eggers neuem Gedichtbuch «Nichts, das ist» markiert in diesem Zusammenhang die Differenz zu allen instrumentellen Auffassungen vom Gedicht: «Mein Gedicht ist mein Halbmesser … Es schneidet mir Erde und Rede einufrig entzwei.» Das ist nicht nur als ein Hinweis auf den Radius der «Rede» zu verstehen, sondern auch als ironische Abgrenzung von dem vielzitierten Diktum des Nachkriegsdichters Wolfgang Weyrauch, der einst dem Gedicht eine aktivistische Funktion zugewiesen hatte: «Mein Gedicht ist mein Messer.»
Diese grobschlächtige Auffassung einer funktional zurüstbaren Poesie wird von Egger ebenso abgewiesen wie alle Forderungen nach Verständlichkeit und Identifizierbarkeit. Alles, was Spurenelemente geläufiger Sprache und «zeitgenössischer» Metaphorik in sich trägt, hat der Sprachmystiker Egger aus seinen Texten ausgeschieden. Zugelassen sind nur Wörter von faszinierender Klanggestalt, naturmagisch aufgeladene Vokabeln, nie zuvor gehörte Wort-Aggregationen, die der Autor in feierlich-flüsternder, virtuos-lautmalerischer, kryptisch-zungenrednerischer Diktion vorträgt. / Michael Braun, Basler Zeitung 22.2.02

«Die Erde der Rede». Gedichte/Theater. Hg. v. Felix Philipp Ingold. Verlag Josef Kleinheinrich, Münster 1993. 100 S., ca. Fr. 48.-.
«Herde der Rede (Poem)». Edition Suhrkamp, 1999. 302 S., Fr. 21.-.
«Poemanderm Schlaf (Der Rede Dreh)». Edition Howeg, Zürich 1999. 310 S., Fr. 24.-.
«Nichts, das ist». Gedichte. Edition Suhrkamp, 2001. 160 S., Fr. 15.-.

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