Dr. Lutz Hagestedt, Literaturkritiker und Dozent am Institut für Neuere deutsche Literatur der Philipps-Universität, betonte in seiner kurzen Vorstellung des Autors, dass Grünbein in den letzten Jahren sogar noch weiter angezogen habe: „Quantitativ wie qualitativ.“ Der junge Autor bringe die erstarrten Formen des Kanons in Bewegung: „Das Gegenmodell zu Grünbein ist wohl der Pop-Literat.“ / Gießener Anzeiger 27.4.02
«Reizstrom in Aspik» ist ein existenzieller Text, wer ihn gelesen hat, wird Gedichten mehr Antworten zutrauen. / Angelika Overath, NZZ 27.4.02
Brigitte Oleschinski: Reizstrom in Aspik. Wie Gedichte denken . Ein Poetik-Projekt mit Urs Engeler. Dumont-Verlag, Köln 2002. 131 S., Fr. 31.80
NZZ druckt versfrei ein Gedicht von Kurt Drawert : Koloskopie (sowie, nicht online, Emily Dickinson zweisprachig!) / 27.4.02
Dass sich aber auch am Golf längst eine moderne Literatur herausgebildet hat, zeigt die Begegnung mit drei bedeutenden Lyrikerinnen: Thuraya al-Arrayed aus Saudi-Arabien, Fawzia al-Schuweisch aus Kuwait und Maisun Saqr aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die drei Autorinnen waren im vergangenen Jahr zu Gast beim Poesiefestival «Al-Mutanabbi», das vom Schweizerisch- Arabischen Kulturzentrum in Zürich organisiert wird und dieses Jahr vom 9. bis 11. Mai seine dritte Auflage erlebt.
Thuraya al-Arrayeds Weg zur Literatur wurde wesentlich durch ihren Vater, einen bekannter Dichter und Kritiker, begünstigt. Dessen riesige Bibliothek, erzählt sie, habe ihr früh die Tür zur Weltliteratur geöffnet, von Dostojewski und T. S. Eliot über die arabischen Klassiker bis zur modernen arabischen Literatur. Thuraya al-Arrayed, die in Bahrain geboren wurde und dort aufwuchs, studierte in den sechziger Jahren in Beirut, später auch in den USA. Mitte der achtziger Jahre veröffentlichte sie erste Gedichte in Zeitungen und Zeitschriften. Sie brachte zwischen 1994 und 1998 drei Lyrikbände heraus und hat zwei weitere in Vorbereitung. Die Autorin, die heute in der Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens in Dhahran tätig ist, schreibt zudem Kolumnen für saudi-arabische und andere Zeitungen, darunter für die in London herausgegebene «Al-Hayat». / Landbote 27.4.02
Thomas Mann als Lyriker kann man in der Frankfurter Anthologie erleben: schwül, -stigst (mit Achselbart, Hinterfleisch und Zeugezeug – außerdem einem handfesten editorischen Skandal). / FAZ 27.4.02
Obwohl man ihn seit einem Jahrzehnt durch allerlei «Ruhmhallen» hetzt, ist Durs Grünbein ein Ausnahme-Lyriker geblieben, der mit seinem Weltaneignungsgeschick und seiner Kompositionsfertigkeit selbst schwächere Phasen seiner Produktion zu überspielen vermag. … Vier Gedichttypen lassen sich in «Erklärte Nacht» unterscheiden: Im ersten Teil des Bandes dominiert die bildungstouristisch veredelte Reiseimpression. Hinzu tritt der lyrische Kommentar zu politischen Erregungszuständen wie dem Kosovo-Konflikt und dem Drama des 11. September. Die Mitte des Bandes bilden «neue Historien», konzentrierte Porträts zu bestimmten geschichtlichen Lagen in der römischen Kaiserzeit, in denen Grünbein seine antikisierenden Leidenschaften elaboriert vorzuführen weiss. Gegen Ende des Bandes kehrt der Autor in einer Reihe «unzeitgemässer Gedichte» zu den Landschaften und Urszenen seiner Kindheit zurück. / Michael Braun, Basler Zeitung 26.4.02
Durs Grünbein: «Erklärte Nacht». Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002. 150 S., Fr. 32.70
Seit mehr als 1000 Jahren leben Juden in Deutschland, aber erstmals vor 230 Jahren schrieb einer von ihnen auf Deutsch, lesen wir in der NZZ:
Mit den 1772 anonym erschienenen «Gedichten von einem pohlnischen Juden» war dieser Anfang in Deutschland für die Literatur gesetzt. Davor gab es zwar jiddische, aber keine deutschsprachige jüdische Literatur. Der Verfasser dieser Gedichte, Isachar Falkensohn Behr , 1746 in Litauen geboren, vollzog den Weg jüdischer Söhne der Aufklärung… [Der junge Goethe rezensierte den Band in Frankfurt]. / Andreas Kilcher, NZZ 25.4.02
Isachar Falkensohn Behr: Gedichte von einem polnischen Juden. Hg. mit einem Nachwort von Andreas Wittbrodt. Wallstein-Verlag, Göttingen 2002. 104 S., Fr. 39.50
SZ: Wie viele Gedichte können Sie auswendig, Herr Leitner?
Leitner: Um die hundert, würde ich sagen. Sehr schön finde ich Giuseppe Ungarettis „Der Morgen“: „Ich erleuchte mich/durch Unermessliches. “ Ein sehr kurzes Gedicht. Doch darüber lohnt es sich nachzudenken. / SZ interviewte den Herausgeber der Zeitschrift „Das Gedicht“, Anton G. Leitner , zum 10. Jahrestag, 23.4.02 / Und hier im gleichen Blatt eine Laudatio. / Leitner s.a. Kölner Stadt-Anzeiger 24.4.02
In einer Betrachtung zu «Merkmalgedichten des 20. Jahrhunderts», die in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift «Die horen» (Nr. 205) nachzulesen ist, liefert Waterhouse ein schroffes Dementi in Sachen «Wahrheit». Gedichte, so Waterhouse, haben es mit einem «weit verzweigten System von Unwahrheiten» zu tun, ja sie fungieren geradezu als «Retter» von «Unwahrheit».
Um diese irritierende Einsicht zu belegen, führt Waterhouse an einem Gedicht des Lyrikers Andrea Zanzotto das unausweichliche Misslingen jedweder Übersetzung vor. Als Spezialist für das Aufspüren klanglicher Echos und Konnotationen in den einzelnen Wörtern, entriegelt Waterhouse den ursprünglichen Bedeutungsgehalt des Wortes «vera» (= «wahr») und überführt es in eine «desintegrierte, aufgelöste Form von Wahrsein». Aus «vera» für «wahr» entsteht dann irgendwann «vertigo», also Schwindel, Drehung und Taumel. Wer Gedichte schreibt und übersetzt, begibt sich laut Waterhouse nicht in den Einflussbereich der «Göttin der Treueschwüre», sondern in die Einflusszone der lateinischen «Vertumnen», der «Wandelgötter, Verschieber, Übersetzer». / Michael Braun , Basler Zeitung 24.4.02
«Die horen», Nr. 205, edition die horen, Postfach 10 11 10, D-27511 Bremerhaven, 232 S., ca. Fr. 18.-.
«Wespennest», Nr. 126, Rembrandtstr. 31/4, A-1020 Wien, 120 S., ca. Fr. 22.-.
«Kolik», Nr. 17, Taborstr. 33/21, A-1020 Wien, 164 S., Fr. 12.-.
Zu der Handvoll wirklich imposanter Verse muss man sich erst durchkämpfen. Einer davon heißt „Abschied vom Fünften Zeitalter“ und schildert die Jugend des Autors in der DDR. Die Stimmung, die Grünbein da mit dunklem Timbre einfängt, führt einen in die beklemmende Welt des Sozialismus zurück, wenn er die Atmosphäre der grauen Städte beschwört: „Braunkohle hieß, was man morgens schon roch. Aus der Erde gegraben / Wie faule Kartoffeln, zischte sie durch die Öfen von Greifswald bis Greiz. / Am Boden zerrten, dem viel zu kurzen, Bagger, Schaufeln und Hände, / Bis alles schwarz war, die Straße rußbefleckt, ein Hausflur von Schaben. / Was Dante im kühnsten Albtraum nicht ahnen konnte – hier, gut beheizt, / Lag der jüngste der Höllenkreise, ein zerwühltes Gelände.“ Aber rings um solche Gedichte, die wie Leuchttürme in die Textlandschaft ragen, herrscht Ebbe. / Ulf Heise, Thüringer Allgemeine 24.4.02
Durs Grünbein: „Erklärte Nacht“, Suhrkamp, 18 Euro
Die Stadt Darmstadt hat den 13. Leonce-und-Lena-Preis für Nachwuchslyriker ausgeschrieben. Bewerben können sich deutschsprachige Autoren, die nicht älter als 35 Jahre sind. Die Preisverleihung ist für den 14. und 15. März 2003 geplant. «Wir erwarten zwischen 400 und 500 Einsendungen», sagte Fritz Deppert vom Lektorat am Montag bei der Vorstellung des Wettbewerbs. Der Preis dürfe künftig nicht mehr geteilt werden, um sein Ansehen zu steigern… Im Zuge der Euro-Umstellung wurde das Preisgeld von insgesamt 30.000 Mark auf 16.000 Euro angehoben. / Frankfurter Neue Presse 24.4.02
Das Letzte heute aus der taz: Der weltbekannte Lyriker Radovan Karadzic schlägt jetzt zurück – mit einem Lustspiel über die depperten Europäer und ihre serbischen Gehilfen. Mehr ist angedroht:
Dieses Werk beweise, meinte der Belgrader Rechtsprofessor Kosta Cavoski, dass sich „unser Held“ Radovan Karadzic nach wie vor nicht nur guter Gesundheit, sondern auch eines heiteren Gemüts erfreuen könne. Weitere Lyrikbände, politische Schriften und Literatur für Jugendliche von Karadzic sollen in Kürze veröffentlicht werden. / taz 24.4.02
Auch sonst heute (23.4.02) viel Lyrik in der Süddeutschen: Albert von Schirnding bespricht Günter Herburger , Arthur Schnabl berichtet aus Mähren, dem Land, das so viele stille Dichter hervorgebracht hat (wie Jan Skácel ), und Hartmut Kühne bereiste Alexandria, einstmals die Heimat des Dichters Kavafis – vor Gamal Abdel Nasser waren die Araber hier in der Minderheit).
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