Der erste Preis (7750 Euro) wurde ohne Not geteilt. Denn neben Tellkamp ragte weit aus dem Feld der Mitbewerber der bereits wohlreputierte Lyriker Oswald Egger heraus. Ein ganzes Blumen- und Pflanzenuniversum erschafft Egger neu, indem er eine überaus suggestive Privatsprache kreiert, die immer um einige Phoneme neben dem Duden liegt, dafür aber eine berückende und auch komische Sinnlichkeit entfaltet. Zu wenig Wirklichkeitskontakt – fand die Jury, und so musste sich Egger den Meraner Lyrikpreis mit Sylvia Geist teilen. / IJOMA MANGOLD, Süddeutsche 21.5.02
… Neue Hoffnung?
Warum Tellkamp nur den zweiten Förderpreis erhielt und der Hauptpreis zu gleichen Teilen an Sylvia Geist und Oswald Egger ging, wird wohl der Jury ungelüftetes Geheimnis bleiben. Tellkamp, eine neue Hoffnung in der lyrischen Landschaft, wird – daran ist kein Zweifel – auch so seinen Weg machen. / Hans Christian Kosler, NZZ 21.5.02
… Weltbenenner
Mit Uwe Tellkamp verbindet Oswald Egger die ambitionierte große Form. Egger schreibt nicht Gedicht für Gedicht, sondern verlegt sich auf das ausufernde Riesengebilde, das der Fülle und der Überfülle das Wort redet. Er schafft sich einen enzyklopädisch ausgreifenden Sprachgarten aus realen und erfundenen Pflanzen, er vermag es damit, „Weltbenennung“ (Ulla Hahn) zu betreiben, die Welt zu ordnen, indem er ihren Erscheinungen Worte und Namen gibt: „Komm, auf Lenzglastwiesen, Unhornbecher, Phloxknospen pflücken. / Täler, die erhöht werden, Bergkofel und Kornellen, ebern Kranewitten.“
Bei Sylvia Geist geht es da schon übersichtlicher zu. Sie schreibt Gedichte, die für sich in Anspruch nehmen, einen eigenwilligen Blick auf unsere Welt zu werfen, wobei Kurt Drawert das Alltagsvokabular beeindruckte. Das Gedicht werde zu einer „Regenerationsmaschine von Sprachschlacke“. / Anton Thuswaldner, FR 24.5.02
«Freund! . . . Freund! . . . Dein Mund / quillt über von tröstenden Worten, erstes Echo auf mein Heimweh. / Freund! . . . Freund! Deine Hände quellen über / von süssen, giftigen Blüten, / erste Labsal für meinen brennenden Durst, / Freund! . . . Freund! Deine Körbe quellen über / von mörderischen Früchten, / erste Ernte all meiner Feldarbeit.» / Dann vernahm man einen langen / Freuden-Rülpser, / und der Planet furzte; / der Vorhang im Tempel wallte und zerfiel / zur Asche.
Der Text erfüllte aufs Schönste den von Apollinaire proklamierten esprit nouveau, die Forderung, das Leben zu steigern und mittels Schocks unerhörte Überraschungen zu erzielen. / Gabriele Killert und Richard Schroetter schreiben über Alberto Savinio , den jüngeren Bruder von Girgio de Chirico, NZZ 18.5.02
Neues über die SS- und NS-Vergangenheit des Piper-Verlagsleiters Hans Rössner (der Hannah Arendt und die Mitscherlichs betreute):
1937 attackierte er in einer mit «ausgezeichnet» bewerteten Dissertation die «geistige Verjudung» des George-Kreises, wobei Stefan Georges dichterischer Rang unangetastet bleiben sollte. … [Sprung:]
Und als Ingeborg Bachmann beruhigt werden soll, als sie mit Piper bricht, weil der ihre geliebte Anna Achmatowa vom Nazi-Barden Hans Baumann übersetzen liess, wer reist da in diplomatischer Mission nach Rom? Dr. Rössner. / Joachim Güntner, NZZ 18.5.02
In der Frankfurter Anthologie stellt Tilman Spreckelsen ein Gedicht von Hans Sahl vor (FAZ 18.5.02) – In der NZZ schreibt Matthias Wegner zum 100. Geburtstag von Hans Sahl, und in der FR gratuliert Momme Brodersen (18.5.) / s.a. Dresdner Neueste Nachrichten 18.5.02
Über die Rezeption der beiden großen, 2000 erschienen Anthologien neuerer arabischer Poesie schreibt Stefan Weidner, Herausgeber einer der beiden:
Beide haben ihre Beschränkungen, aber beide zusammen ergeben bereits ein annähernd repräsentatives Bild ihres Gegenstandes, der modernen arabischen Poesie.
Beide Anthologien haben in der arabischen Öffentlichkeit viel mehr Aufsehen erregt als in der deutschsprachigen. In der arabischen Presse zählten die Rezensionen nach Dutzenden, hier war kaum eine Handvoll zu vermelden. Selbst unter Orientalisten und Lyrikliebhabern sind es nur Leute mit sehr speziellen Vorlieben, die moderne arabische Poesie in Übersetzung lesen möchten. Wie gering die Neugier eines allgemeinen Lesepublikums ist, zeigen die Verkaufszahlen nach dem 11. September. Während der Koran zum Bestseller wurde, stagnierte die Nachfrage nach den Anthologien wie eh und je. Halten viele Araber die Poesie für ihren wichtigsten aktuellen Beitrag zur Weltkultur, so traut die westliche Öffentlichkeit der Gattung offenbar nicht zu, die arabische Kultur angemessen zu repräsentieren. Sie hält sich lieber an Altbewährtes, die Religion. …
Die arabische Kultur hat nicht primär ein Wahrnehmungsproblem im Westen, sie ist auch tatsächlich nicht auf der Höhe ihrer Kraft. Sie wird nicht nur mangelhaft vermittelt, sie hat selber beträchtliche, ihre Vermittelbarkeit einschränkende Mängel. / NZZ 18.5.02
Im Kriegssommer 1940 kehrte Ghérasim Luca auf abenteuerlichen Wegen via Italien nach Rumänien zurück, wo ihn aber der inzwischen offizialisierte Antisemitismus sogleich ins innere Exil zwang. Erst nach Kriegsende – während einer kurzen kulturellen «Renaissance», die der Machtergreifung der Kommunisten voranging – konnte Luca seine Aktivitäten wieder aufnehmen. Zusammen mit Virgil Theodorescu, Gellu Naum und weiteren Gesinnungsfreunden gründete er eine surrealistische Künstlergruppe, veranstaltete Ausstellungen, betrieb eine kleine Druckerei, produzierte in bescheidenem Umfang Bücher und Broschüren. Beim kurzlebigen «Verlag des Vergessens» (Editions de l’Oubli) und andern Kleinstverlagen gab Ghérasim Luca damals zwei Einzelpublikationen in rumänischer Sprache sowie mehrere Gedichtbände auf Französisch heraus. Ab 1947 richtete er sich, aus Protest gegen die repressive rumänische Kulturpolitik, im «linguistischen Exil» des Französischen ein, das nun definitiv zu seiner «unmütterlichen», mithin «antiödipalen» Dichtersprache wurde. / Felix Philipp Ingold , NZZ 18.5.02
Edward Hirsch features poems by Giacomo Leopardi. (From The Washington Post 16.5.02)
Gerburg Garmann übersetzt und kommentiert das Lied „Ce moys de may“ des Renaissancemusikers Clément Janequin in der aktuellen “ Gazette „. / Mai 2002
SAN FRANCISCO — The melodic voice of Marianne Moore echoed from a reel-to-reel tape recorder at the American Poetry Archives here on a recent morning. She was reading her poems to an enthusiastic audience in 1957, and the tape offered delights quite different from those that come from reading a printed page.
Before reciting a poem called „Light Is Speech“ Moore explained that it was inspired by a legend about a bandit and a bag of gold. She thanked her audience for applause that was „very gratifying, consoling,“ and then told about an argument she had with Richard Wilbur over the use of hyphens in poetry. Several times she interrupted her reading to try out different words or phrases, explaining at one point, „I’m rewriting this as I read it.“
In the poem Moore asserted:
Impartial sunlight, moonlight
Starlight, lighthouse light,
Are language.
As the tape wound on, the archives manager, Jiri Veskrna, hovered nearby, watching a computer screen. He was turning the Moore reading into a digital recording, since the tape on which it was originally recorded was starting to disintegrate. / NYT *) 16.5.02
Schön hört sich die Sprachmelodie seines Gedichtes an, doch einen „Zweck und Bedeutung haben die Wörter nur, wenn eine feste Verbindung zwischen Laut und Idee besteht sowie die Absicht, dass das eine für das andere eintreten soll; denn ohne eine solche Verwendung sind die Wörter nichts weiter als ein bedeutungsloses Geräusch“.
So sieht es zumindest John Locke, und damit hat er Recht: Auch wenn sich bei Oswald Egger sicher viele Ideen hinter den Wörtern verbergen – allein, sie kamen nicht an. Umso verwunderlicher der frenetische Beifall am Ende, sogar vermischt mit Bravo-Rufen. War es den meisten etwa doch anders ergangen? Nein, das wohl doch nicht, denn beim Hinausgehen konnte man von allen Seiten hören: „Toll war’s, aber ich habe kein Wort verstanden.“ / Janine Oswald, Neuß-Grevenbroicher Zeitung 16.5.02
Die Frankenpost berichtet über die Verleihung des e.-o.-plauen-Preises an Robert Gernhardt – in Plauen / 16.5.02
Der Antipode zu dieser Wissenschaft der Stille ist gewiss der wort-verrückte Dichter Christian Uetz , ein moderner Meister Eckhart der atemlosen Sprach-Exaltation, der unablässig in den Binnenraum der Wörter hineinhorcht, um dem „Wahn des Wortes“ auf die Spur zu kommen. Er fühle sich „beseelt“, so Uetz nach seinem Auftritt. Sein obsessives Sprechen an der Grenze des Sagbaren muss jeden Realismus verabschieden, kann nie in einen ruhigeren Rhythmus kommen, muss immer atemlos bleiben, vom „Existenzfieber“ gepackt, sprachlich überhitzt, ohne je normale Betriebstemperatur zu erreichen. / Michael Braun in einem Bericht über die Solothurner Literaturtage, FR 15.5.02 (über 14-Tage-Archiv erreichbar, Suchwort Solothurn)
In der „Süddeutschen erfahren wir, wie die Leipziger Literaturzeitschrift „edit“ auf den ihr zuerteilten Hermann-Hesse -Förderpreis für Literaturzeitschriften reagiert: mit „Hesse-Häme“ – Außerdem bespricht Gustav Seibt den Briefwechsel Benn -. Claes / SZ 15.5.02
Lyrik von solch klanglicher Perfektion sind die 154 Vierzehnzeiler, dass man darüber leicht alle akademischen Deutungen und alle Diskussionen um die Identität der Adressaten, des „Fair Youth“ und der „Dark Lady“, vergessen kann. Nicht allein deshalb sollten auch jene, die des Englischen nur eingeschränkt mächtig sind, jede Scheu ablegen vor der neuen EMI-Kompilation „When love speaks“. Konzipiert als Benefiz-Edition zugunsten der Londoner „Royal Academy of Dramatic Art“, versammelt die CD Sonett-Interpretationen von 43 Absolventen der britischen Schauspielschule. / Süddeutsche 14.5.02
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