Backnang Der rumäniendeutsche Autor und Satiriker Hellmut Seiler, der in Remseck lebt und in Backnang als Lehrer tätig ist, bestritt zusammen mit der Berliner Liedermacherin Bettina Wegner, dem russlanddeutschen Autor Waldemar Weber und dem Leipziger Lyriker Jan Zänker die sechste Leipziger Sommernacht der Poesie im Haus des Buches. Seiler beteiligt sich zudem an der Endrunde des Literaturpreises Reinheimer Satirelöwe, die am 4. Oktober im Rathaus der hessischen Stadt ausgetragen wird. / Backnanger Kreiszeitung 4.7.02
Der 78jährige Dichter hatte von seiner Krebserkrankung erfahren; und er hatte beschlossen, mit der neuen Begrenzung der verbleibenden Zeit, noch einmal und gesteigert im Bewusstsein des Abschieds, als Dichter umzugehen, indem er Tag für Tag und beginnend mit dem 29. Juni 1987 in seinem Haus in Karlóvassi (jenes Gedicht mit Ort und Tag zeichnend) ein, zwei, drei oder gar vier Gedichte schrieb, die das Gesehene (Ritsos war auch Maler) zu einer Antwort bestimmten, zu einer poetischen Übersetzung der herandringenden Einzelheiten – wie es öfter, und besonders in der Erinnerungsprosa Was für seltsame Dinge (1983, dt. 1985), sein Verfahren des Aufzeichnens gewesen ist. …
Dort haben Asteris und Ina Kutulas das inzwischen berühmte letzte Gedicht des Bandes und das nicht mehr im Band enthaltene „Der letzte Sommer“ vom 3. September 1987 übersetzt, in dem es, vor der Rückreise in das Winterdomizil Athen, wo er täglich mit Theodorakis über die Arbeit telefonieren wird, heißt: „Ich, / während der wenigen Tage, die uns noch bleiben, werde manchmal durchsehen / die Verse, die ich im Juli schrieb und im August / obwohl – ich fürchte, ich füge nichts hinzu, wahrscheinlich / nehm ich vieles weg, und zudem wird zwischen den Zeilen sichtbar / die dunkle Ahnung, dieser Sommer / mit seinen Grillen, Bäumen, seinem Meer, / mit dem Sirenengeheul der Schiffe in den glorreichen Sonnenuntergängen, / mit Bootsfahrten im Mondlicht unter den kleinen Balkonen / und mit seinem geheuchelten Erbarmen, wird der letzte sein.“ / Hugo Dittberner, FR 4.7.02
Der künstlerische Ertrag des Aufenthaltes in der Lucchesia ist eines der kühnsten Unternehmen der deutschen Poesie des 20. Jahrhunderts, die Commedia deutsch. Aus einer Flut von Fragmenten, die bisweilen das Kopfschütteln der gelehrten Welt erregt, ragt das schwierigste Unterfangen in staunenswerter Vollständigkeit hervor. Der Plan, das größte Werk des europäischen Mittelalters, das sich in organischer Weise auf die Antike bezog – sie also nicht „wiedererweckte“, weil sie noch gar nicht erloschen war -, in ein Deutsch zu übertragen, das mit diesem Mittelalter in einer sprachgeschichtlich ungetrübten Beziehung stand, wuchs aus der Entscheidung, im „ghibellinischen“ Pisaner Land zu leben, folgerichtig hervor. / Martin Mosebach, Die Zeit 28/2002
NZZ ( 3.7.02) druckt ein Gedicht des englischen Dichters Michael Bullock, die Süddeutsche eins von Adonis.
Das Reizvolle an diesem Tage war ein erhellender lyrischer Dialog. Denn Kirsten las nicht nur neueste Gedichte, sondern er äußerte sich auch einfühlsam und genau über Annerose Kirchners Lyrik. Sie habe, sagte Kirsten, schon „früh den Ehrgeiz zum bündigen und geschlossenen Gedicht“ entwickelt. Dann wurde Elke Erbs Text über Kirstens Lyrik vorgestellt. Diese originelle und sensible sprachliche Analyse öffnete dem Hörer neue Wege zum Gedicht. Elke Erb spricht darin über Kirstens „Geradsinnigkeit und Redlichkeit“, von seiner Wiedererweckung der „abgetauchten“ Begriffe. / Thüringische Landeszeitung 3.7.02
Zum Festwochenende lesen u.a. Marcel Beyer, Michael Hofmann und Durs Grünbein / Der Neue Tag 3.7.02
Zwei Kultouristinnen vor dem Palast der Republik
hielten das Bauwerk für historisch und schick.
Doch die goldenen Fenster
und der Vergangenheit Gespenster
werden bald aus dem Stadtbild gekickt.
Berliner Morgenpost 3.7.02 [und hopp, die Parlamentarier gehorchen!]
Der erste Text von Gert Neumann , den ich las, war ein Gedicht (in der von Bernd Jentzsch herausgegebenen Anthologie „auswahl 68“). Brücke genug, um den ansonsten fast nur mit Prosa hervorgetretenen Autor hier einzurücken. Zum runden Geburtstag brachte die FAZ (2.7.) eine Gratulation von Mark Siemons – die einen Buchtitel falsch erinnert und sich ein bißchen wundert, daß er nach dem Ende der DDR immer so weitermacht, doch
seine „Fortführung des Wahrheitsdialogs“ verspricht auch unter nicht-diktatorischen Bedingungen noch einiges. (FAZ 2.7.02, S. 41)
D´accord – herzliche Glückwünsche!
Philip Whalen , an original member of San Francisco’s Beat poets who ignited the poetry renaissance of the 1950’s and attended the historic Six Gallery reading, died in San Francisco last Wednesday after a long illness. He was 78. / Nachruf in der NYT *), 2.7.02
„He was a poet’s poet,“ said Gary Snyder, on hearing of his friend’s death. „His intelligence and skill is very subtle and very deep. There are many poets who feel in his debt.“ / San Francisco Chronicle 2.7.02
Wäre die deutschsprachige Literaturkritik so gut wie ihr Ruf, hätte sie merken können, dass es eine enorm starke Lyrik gibt, seit Jahren, dass das oft junge Autoren waren und noch sind, dass es in der Lyrik im Vergleich zu den durch die aufgeregten Heißluftaggregate der Feuilletons und Kulturmedien zu Krönungsschreibern hochdeformierten Storytellern, echte Geschehnisse gibt. Da gibt es eine Vielfalt und ästhetische Fronten, eine Fülle von Stoffen und Formen, einen Stimmenchor, zusammengenommen so atonal, dass es kaum einer noch überblickt. Wohingegen sich das Gros der jüngeren Erzähler und Romanciers einer neuen Anspruchslosigkeit hingibt, die ihre eigene „Schicksalslosigkeit“ entdeckt hat – wie es Burkhard Spinnen als Befreiungsschlag zu verteidigen wusste (Literaturen, 09/2001). Ein paar wenige Scouts wie der Heidelberger Kritiker und Essayist Michael Braun oder der Herausgeber Urs Engeler wissen um die momentan gute Verfassung der Gegenwartslyrik und sind quasi Bestandteil einer Szene, die uneinig ist und die von sich selbst nicht viel weiß. Was gut, was vielleicht sogar ideal ist. …
Mit anderen Worten und in einem Bild (und auch, um es an Namen nicht fehlen zu lassen), warum „den Deutschland-Achter“ nicht mit Steffen Jacobs statt Thomas Brussig, mit Jan Wagner statt David Wagner, mit Yoko Tawada statt Julia Franck besetzen. Kathrin Schmidts Gedichte haben höhere Schlagzahlen als beide Benjamins zusammen. Und so ginge das fort: die knochigen Parlandotöne Volker Sielaffs, das hochangespannte Resonanzwerk Henning Ziebritzkis, das bislang vollkommen unterbelichtete Treiben Ulf Stolterfohts, Henning Ahrens ‚ tückische Naturwelten, die fast schon übermütigen Lexikalien Raphael Urweiders , Jan Wagners Kurz-Narrationen, Peter Geißlers Naivitätskunst. Oder Sabine Scho, an deren Gedichten sich der Einfluss der Kölner Schuleablesen ließe, wenn er von der Autorin nicht so eigenwillig zu etwas Neuem katalysiert worden wäre.
Das sind alles ganz ungeheuer gute Autoren und alle so vollkommen anders . …
Es gibt erst einmal keine Leser dafür. Es gibt an den Hochschulen keine Literaturdozenten, die auch nur halbwegs mit der Gegenwartsliteratur bekannt wären. Diese Gegenwartslosigkeit verpflanzt sich dann in den Hörsälen in die Köpfe künftiger Deutschlehrer.
/ Hauke Hückstadt: Gedichtblindheit. Ein Gegen-Plädoyer . Der deutsche Literaturbetrieb übersieht seine größten lyrischen Talente. FR 29.6.02
Hier schaltet sich ein kurzer Text ein, der mit „Silvesterpolen“ überschrieben ist. Er schildert die Begegnung mit einem Gedicht, „das ich noch nicht kenne, vielleicht auch niemals schreiben werde.“ Die Erinnerung an diesen Silvesterbesuch auf Usedom 1993/94, wo es plötzlich so deutlich nach DDR riecht und greifbare Rückblenden in eine vergangene Biographie präzise Erinnerungen und erschreckende Albträume aufleben lassen, steht durchaus auf eigenen Beinen. Aber dass man diese erinnerte und verinnerlichte Welt nun als Wurzelgrund eines noch nicht geschriebenen Gedichts besuchen soll, macht sie unheimlich. Eine virtuelle Dichterin antwortet Zuhörern, die es gar nicht gibt, auf Fragen noch ehe sie gestellt werden, ja noch ehe das Gedicht existiert, das sie hätte auslösen können. Ist die Dichterin ein Medium des Mysteriums Poesie? / Hans-Herbert Räkel, SZ 29.6.02
BRIGITTE OLESCHINSKI: Reizstrom in Aspik. Wie Gedichte denken. DuMont, Köln 2002. 131 Seiten, 16,90 Euro.
Christoph W. Bauer löste mit seinem lyrisch gehaltenen Text «Auf.Stummen» eine Debatte aus über die Möglichkeit, Lyrik und Prosa zu verbinden – eine Diskussion, die zum Beitrag «Steine» des Schweizer Autors Raphael Urweider noch einmal aufgegriffen wurde. / NZZ 29.6.02
Man kann Ror Wolfs Bücher überall aufschlagen: Die Welt wird besser! Man lauscht der Loreley, verführerisch singt sie durchaus im Lexikonstil, man lauscht mit oder ohne Sinn und Verstand, ohne Widerstand. / Brigitte Kronauer, FR 29.6.02 – Weitere Gratulationen: Süddeutsche 29.6. (Ijoma Mangold) / taz 29.6. (Kay Sokolowsky)
Die beiden kürzesten Gedichte von Giuseppe Ungaretti sind als rhythmische Gebilde leicht zu erkennen. Zwei Zeilen zu vier und drei Silben bilden das eine: «M’illumino / d’immenso.» Das andere besteht aus einem Endecasillabo, dem klassischen elfsilbigen Vers der italienischen Dichtung: «D’altri diluvi una colomba ascolto.» Sich erhellen aus Unendlichem und von anderen Sintfluten eine Taube vernehmen: Das sind nicht blosse Motive, die in metrischer Form eine Zierde des lyrischen Werks abgeben; es sind Spannungsbögen, die sich in räumliche und zeitliche Dimensionen hinaus und aus ihnen herein schwingen, und diese Schwingungen sind ein unmittelbar rhythmischer Vorgang. / Hanno Helbling: Rhythmus als offene Form. NZZ 29.6.02
Unter den Autoren der Beat-Generation galt Gregory Corso als Dichter schlechthin: «Er hat die engelsgleiche Macht, autonome Gedichte zu erschaffen, wie ein Gott, der Bäche erschafft. (. . .) Wahrscheinlich ist er der grösste Dichter in Amerika, und in Europa verhungert er», schloss Ginsberg 1957 seine Einführung zu Corsos frühem Gedichtband «Gasoline». / NZZ 29.6.02
Gregory Corso: Benzin. Aus dem Amerikanischen, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Alexander Schmitz. Mit einer Einführung von Allen Ginsberg. Stadtlichter-Presse, Berlin 2002. 112 S., Fr. 27.-.
Neueste Kommentare