5. ( 4. – 5. ) – 20 Punkte
FRANZ JOSEF CZERNIN: Elemente, Sonette
Carl Hanser Verlag, 17,90 Euro
Die Elemente der mythischen Welt verwandelt Czernin in moderne Sprache.
7. ( – ) – 19 Punkte
MATTHIAS HERMANN: Der gebeugte Klang
Gedichte.
Verlag Klöpfer & Meyer, 14,80 Euro
Das Unvorstellbare in Sprache fassen: den Holocaust.
‚Schwer stehen / Die Psalmen im / Gebeugten Klang.‘
Die Bestenliste im Internet:
www.swr.de/bestenliste
[Ingeborg Bachmann:] Die beiden römischen Briefe und das Nachtbild haben von daher eine Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit der Wahrnehmung, wie nur die Zugehörigkeit zum gleichen Leben sie vielleicht zu geben vermag. Ihr 1956 veröffentlichtes Gedicht «Scherbenberg» ist noch am stärksten von der Spannung zwischen dem gekannten Fremden und dem unbegriffenen Eigenen getragen, das schon Goethe in Rom eine Doppelrolle auferlegt hatte:
Vom Frost begattet die Gärten – Das Brot in den Öfen verbrannt – Der Kranz aus den Erntelegenden Ist Zunder in deiner Hand. Verstumm! Verwahr deinen Bettel, die Worte, von Tränen bestürzt, unter dem Hügel aus Scherben, der immer die Furchen schürzt. Wenn alle Krüge zerspringen, was bleibt von den Tränen im Krug? Unten sind Spalten voll Feuer, sind Flammenzungen am Zug. Erschaffen werden noch Dämpfe Beim Wasser- und Feuerlaut. O Aufgang der Wolken, der Worte, dem Scherbenberg anvertraut!
Norbert Miller, NZZ 28.9.02 über neuere Italienreisen deutscher Dichter (Huchel, Rühmkorf, Brinkmann, Grünbein). – Dort auch eine Besprechung seines Buchs über Goethes Italienreise.
NZZ druckt am 28.9.02 Gedichte von Stephane Mallarmé und Paul Valéry.
NZZ (28.9.02) berichtet über ein Basler Theaterprojekt um Adolf Wölfli, den «Nathurvorscher, Dichter, Schreiber, Zeichner, Componist, Landarbeiter, Melker, Handlanger, Gäärtner, Gipser, Zementter, Bahn-Arbeitter, Taglöhner, Scheeren-Schleifer, Fischer, Schiffer, Jäger, Welsch-Heuer, Tohthen-Gräber und Soldat des Emmenthaler-Battaillons 3. Kompanie, 3. Sektion. Ebjä!!»
Ein «sea lion» ist ein Seelöwe, darauf haben sich die amerikanische Lyrikerin Martine Bellen und ihr deutscher Übersetzer Hans Jürgen Balmes bald einmal geeinigt. Welch wunderliches Wesen freilich verbirgt sich hinter dem italienischen «foca da cucina»? Etwas gar prosaisch klingt der Übersetzungsvorschlag von Susanne Lippert: «Küchenseehund». Das Wortspiel zwischen «foca» und «fuoco» ist der in Rom lebenden Deutschen dabei offenbar aus dem Blick geraten. Entsprechend skeptisch reagieren die übrigen Teilnehmer des Übersetzungs-Workshops auf Lipperts Neologismus. Auch der Vater der «foca da cucina», der lombardische Poet Franco Buffoni, möchte zu phantasievolleren Nachschöpfungen anspornen. / NZZ 28.9.02
«Eine Oase inmitten der Wüste der Zivilisation» nannte sie Miguel de Unamuno, der 1924 vom Diktator Primo de Rivera hierher verbannt wurde. Unter den Kanarischen Inseln ist Fuerteventura … / weiter NZZ 28.9.02
Ich zitiere mal zur Abwechslung eine andere Quelle, auch mit einem feinen Hinweis:
In Karl Mickels Gedicht „Indianerfilm“ lautet der letzte Vers:
„Ein Hausboot aufm Styx will Schmidt“
Mickel lesen!
Gruß
Peter Sinram
So in der Arno-Schmidt-Mailing-Liste (ASML) am 27.9.02
«Irgendwo musste der Mensch schliesslich geboren werden. Nicht jeder konnte in Wilna zur Welt kommen», äusserte sich der polnische Dichter Tadeusz Rózewicz einmal ironisch ergeben über seinen Geburtsort Radomsko, ein hässliches Provinznest, das nichts von jener magischen Aura besitzt, die viele an der litauischen Hauptstadt rühmen. Eine Herkunft aus Wilna, wo sich die verschiedensten Kulturen, Religionen und Sprachen – Litauisch, Polnisch, Russisch, Jiddisch, Weissrussisch und Deutsch – begegneten oder auch zu verdrängen suchten, gilt in Polen noch heute als Auszeichnung, die alte Wilnaer mit Stolz tragen wie einen funkelnden Orden.
…
In diesem Sinn war es mehr als ein symbolischer Akt, dass sich der grosse litauische Dichter [Tomas Venclova] nach seiner Rückkehr aus den USA vor kurzem nicht etwa im heimatlichen Vilnius niederliess – sondern in der alten polnischen Königsstadt Krakau.
/ Martin Pollack, NZZ 27.9.02
Was Böhmers Lyrik auszeichnet, sind ihre abenteuerlichen und souveränen Reisen ins enzyklopädische Universum: Vom Vokabular aus Botanik, Anatomie, Psychologie, Kosmologie und Mythologie bis hin zum Alltag zwischen „Hertie und Hauptbahnhof“ ziehen die Texte, getrieben von dem Zwang, „gegen die Namen der Dinge“ sagen zu müssen, „was die Dinge sind“, alle sprachlichen Register. Die Welt, die Böhmer dabei entstehen lässt, gleicht dem, was Deleuze und Guattari einst „Chaosmos“ nannten: Man erkennt Strukturen, Wörter und Bilder, die sich wiederholen, parataktische Satzmuster und Rhythmen, sogar vereinzelt Reime, die aber nie selbstverständlich wirken, und zugleich scheint dieses gesamte System in permanenter Bewegung, jede Wiederholung auch eine Verschiebung, jedes Bild assoziativ weiterwuchernd, kein Rhythmus, der nicht auch arhythmisch gebrochen wäre. In diesem Chaosmos wird eine Welt des Verlusts, des körperlichen Verfalls und der Grausamkeit sichtbar. Litaneiartig, bisweilen geradezu apokalyptisch und ohne Scheu vor Pathos umkreisen Böhmers Verse immer wieder Schmerz, Krankheit, Tod.
Eva Demski verglich die Lektüre von Kaddish I-X mit einer Wanderung durch eine eisige Schnee- und Flusslandschaft, unter deren Oberfläche vor allem Gräber verborgen seien, neben den Gräbern aber auch künftige Sommer. Denn wie jeder Totengesang ist Böhmers Lyrik auch ein Lobgesang auf das Leben. / Sascha Michel, FR 27.9.02
Paulus Böhmers Poem Kaddish I-X erschien bei Schöffling & Co., 250 S., geb., 24,-
Ein Sprachkunstwerk unter dem Titel word search soll am 4. Oktober in der New York Times veröffentlicht werden: eine kolossale Tabelle, in der ein Wort aus jeder Sprache aufgelistet wird, die in New York gesprochen wird – übersetzt in jede andere dieser Sprachen. Die riesige Wortskulptur beruht auf einem Konzept der deutschen Künstlerin Karin Sander. Herauskommen wird am Ende eine kolossale Tabelle aus rund 250 Wörtern mit ebenso vielen Übersetzungen. / Die Zeit 40/2002
Homepage Karin Sander http://www.karinsander.de/index.php?id=e1
meldet die NZZ am 23.9.02:
Fünf Tage lang und an wechselnden Orten feierte man bei den Kulturtagen Lana in Südtirol den nahen 75. Geburtstag eines Dichters, bei dem das Sinnliche allenthalben über den Tiefsinn triumphiert.
Der Text, dieser Wortleib, nährt sich vom Fleisch der Alphabete. «Fleischeslust» heisst ein frühes Prosabuch Oskar Pastiors, und mit zwingender Nahtlosigkeit heisst so auch ein Festessen, das «Grünzeug in Taschen und Beuteln oder Spiegelgefechte mit Teigwaren» androht und «Heuschreckenpudding auch Apfelbettelmann genannt». Wenn Herbst ist in Meran, dann ist es, Oskar Pastior zu Ehren, ein «O-Ton ‹Automne› – Linguistikherbst», wie ein Gedicht aus dem Band «Das Hören des Genitivs» heisst, das Wolfgang von Schweinitz vertont hat.
Der Münchner Fotograf Hubert Kretschmer hat vor zwei Jahren in Mailand ein Liebespaar auf einer Treppe fotografiert. Und Beate Kraintz hat ihm dazu ein Gedicht von Franz Hodjak (Nikolaus-Lenau-Preis 1996) ausgesucht. / 22.9.02
(http://www.gazette.de/Kretschmer.html)
After all, poetic composition is the art of finding beauty in constraint, of turning limitation into aesthetic opportunity, and that, we know, is a feat these women were forced to perform incessantly. As Dickinson, with her great talent for ambivalence, put it:
Essential Oils — are wrung –
The Attar from the Rose
Be not expressed by Suns — alone —
It is the gift of Screws —
Judith Shulevitz suggests that female Victorian poets made „ingenious use of their restrictions.“ (The New York Times.*) 22.9.02
W. G. Sebald:
After Nature, translated by Michael Hamburger, reviewed by Eva Hoffman. (The New York Times.*) 22.9.02
Ein Frühvollendeter, wie ihn die Literaturmythologie gerne hat, gar ein literarischer Ausbrecherkönig wie Rimbaud ist Everett Ruess nicht; und vielleicht kann man heute sein Lob eines «wilden und schönen», wahlweise «wilden und freien Lebens» nicht mehr so unbefangen wie damals aufnehmen. Dennoch lohnt die Lektüre sehr. Zu entdecken ist wirklich ein «Poet der Canyons» und ein bewegendes Leben dazu. Was man sich jetzt wünscht, ist eine ungekürzte Ausgabe. / NZZ 21.9.02
Der Poet der Canyons. Leben und Legende des Everett Ruess. Herausgegeben von Jenny Niederstadt. Aus dem Amerikanischen von Gaby Wurster. Malik-Verlag, München 2001. 244 S., Fr. 38.-.
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