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Teil 15 des Zyklus „Die Befreiung der Alchemie von der Metaffer“ von Martina Kieninger
Der Text verbindet poetische Reflexionen über die Vergänglichkeit und Unumkehrbarkeit des Todes mit chemischen Prozessen – das Tier wird zur „Aldehydfischverbindung“, zum „Tieraldehyd“. Und zwar in klassischen Versfüßen (Daktylus, Adonäus). Und klingt aus den kindlichen Fragen Hoffnung?
Text 15 Aldehyd alkahest
lege die Tiere. das stille Getier, sie sollen nicht wieder, sie sollen nicht kehren noch wissen
von Mitteln (in Klammer: Formaldehyd), so lege. sie sollen nicht kehren – nicht wieder. Im Quaderglas liegt wie in Armen das Haiweib,
Formaldehyd trägt sie gleich einem Kinde,
so ruht sie im Bade (Embryonenbad) schwebend. Sich jährend wie Fisch im Formaldehyd
Molekülgleich lösen sich Flügel und Schwanz
zur vielfachen Aldehydfischverbindung, Tieraldehyd
es gleiten die Menschen durch Zeit wie der Fisch durch die Lösung, im Lippenloch steckt noch
dem Haiweib das Lachen wie ne schnelle Zigarette
Die in Mitteln sich lösen, zum Wort zerfallen,
sollen nicht kehren ins Leben aus Schlammaldehyd,
sie sollen in Schlieren in Blasen und Blister ungenau flocken im Quader -
nur Augen im Spiel, geworfen wie Würfel im sich trübenden Glas. Wort Zahl Kopf, das fällt wie ein Tier aus dem Tierkreis, Apothekenhai-, Tierkreistier
zur Erbauung der Menschheit im Quader gelöst zum Tierschlamm, dort punzt die Zeit wie ein Stiefeltritt das Tieraldehyd in den Schlamm
Wo fängt das Tier an, so fragt sich, wo Schlamm und die Flügel des Hais,
Kraft der Poesie – so fragt sich und sagt es das Kind. Ein tiefes Kind sagt es der Tierform des unterm Stiefeltritt,
hineingepunzt ins Quaderglas
– Kopf, Schwanz, ganz – es soll aus den Teilen, den nieder, vom Stiefel in Schlamm getretnen, es soll werden und kehren aus Teilen das Tier –
so zieht das Kind das Lyrik-Ich des sich Lösenden, des Stiefelgetretenen aus dem Quaderglas verspricht zwei Flügel ihm,
der Fischschwanz hebt sich aus dem Schlamm und fliegt davon.
Wie Vögel übers Meer
so fliegt er ewig wie Licht, das von Spiegel zu Spiegel
geworfen nicht wieder wird kehren.
Alkahest ist ein hypothetisches Universal-Lösungsmittel, das in der Alchemie als „Universalmenstruum“ bezeichnet wurde. Es galt als eine mythische Substanz, die angeblich jede andere Materie auflösen konnte, ohne sich selbst zu verändern. Der Begriff geht auf den Arzt und Alchemisten Paracelsus (1493–1541) zurück, der Alkahest als eine fundamentale Essenz betrachtete, die alle Stoffe in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegen könnte. Die Idee des Alkahests ist eng mit dem alchemistischen Streben nach der Transmutation von Stoffen und der Suche nach dem „Stein der Weisen“ verbunden.
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