Fatrasien

Zeit für etwas Weihnachtsstimmung (oder war es Ostern? Macht nichts.) Hier ein anonymes Gedicht aus dem französischen Mittelalter, mehr als 700 Jahre alt. Wirklich!

Großen Aufruhr machten 
zwei Fürze, die eine Maus
in Salz einlegten.
Zwei Öfen fielen herab,
und zwei Säue sangen
im Innern eines Fasses.
Es sprachen viel von dem und jener
zwei Mäuse, die Reims
und Paris auf einem Pfahl wegtrugen,
so dass Ostern hinter Weihnachten
laut deswegen weinte.
Grant noise faisoient 
Dui pet qui metoient
Une suris en sel.
Dui four en tomboient;
Deus truies chantoient
Parmi un tynel.
Molt parloient d'un et d'el
Deus suris qui emportoient
Rains et Paris sor un pel,
Si que forment em plouroient
Pasques derierre Noel.

Die deutsche Version ist von Ralph Dutli, der offenbar als erster diesen Schatz absurder altfranzösischer Poesie ins Deutsche trug. Das Gedicht stammt aus einem Manuskript aus dem 13. Jahrhundert aus der Stadt Arras in Nordfrankreich. „Fatrasien-Labor“ nennt Dutli sie in seinem Nachwort, das betreffende Kapitel trägt den Titel „Arras oder die Neuerfindung der Poesie“. Über die Form der Fatrasie erfahren wir, dass es elfzeilige Gedichte sind („Die Zahl elf ist konstitutiv. Sie bedeutet mehr als zwei Handvoll und weniger als ein Dutzend.“). Die ersten 6 Verse haben 5 Silben und die letzten 5 haben 7 Silben. Zwei Reime durchziehen den Elfzeiler nach einem festen Schema: aabaab / babab. Lesen Sie mal das Reimschema laut: a-a-b a-a-b – babab!

Verständlicherweise kommt die deutsche Fassung ohne Reim und strenges Silbenmaß. Um dem Schema genugzutun, müsste man schon selbsteigene Fatrasien schreiben (hat es in Deutschland schon jemand versucht? Wissenslücke!). Knapp und paradox (also poetisch) ist sie trotzdem.

Quelle der Texte: Ralph Dutli: Fatrasien. Absurde Poesie des Mittelalters. Göttingen: Wallstein, 2010, S. 45.

4 Comments on “Fatrasien

  1. Fatrasie 3

    Zungenkuss und Schluss
    ohne Colt und Schuss
    goldener Taler
    silberner Jambus
    Liebe und Verdruss
    analer Prahler
    axialer nein radialer
    hoch erotischer Genuss
    oder nur ödipaler
    Reflex im roten Fernbus
    und der Geschmack wird schaler

    15. Januar 2024

    Fatrasie 1

    Fünf Strümpfe sind blau
    die fünf trägt der Pfau
    gelb ist die Feder
    und die Nacht ist grau
    bis zum Morgentau
    den Hut aus Leder
    den trägt wahrlich nicht jeder
    den trägt die Gans nicht der Pfau
    charmant unter der Zeder
    Arm in Arm mit Schweinchen Schlau
    also ent oder weder

    10. Januar 2024

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  2. Pingback: Ich dichte im Schlaf – Lyrikzeitung & Poetry News

  3. Zwei Fürze regten
    sich laut und legten
    eine Maus in Salz.
    Zwei Öfen fegten
    zu Boden, zwei Säue legten
    Gesang hin im Fass mit Schmalz.
    Viel sprachen von Arsch und Hals
    von Mäusen zwei Mäuse die kriegten
    Paris und Reims weg mithilfe des Pfahls
    von Ostern das deshalb Klagen hegte
    hinter Weihnachten abermals.

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