Der Dichter mal großzügig bezahlt, mal geizig

Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī – kurz Rumi genannt

(geboren am 30. September 1207 in Balch, heute in Afghanistan, oder Wachsch bei Qurghonteppa, heute in Tadschikistan; gestorben am 17. Dezember 1273 in Konya, Türkei)

Aus dem Masnawī

Ein Dichter trug dem Schah einst ein Gedicht vor, 
     auf Würden, Rang und Ehrenkleider hoffend.
Der edle Schah ließ tausend goldne Münzen 
     ihm geben und 'ne Fülle an Geschenken.
Da sagte der Wesir: »Das ist zu wenig.
     Gib ihm zehntausend, dann geh er getrost!
Bezeugt ein Dichter Geist, dann sind zehntausend 
     von dir, du Meer der Fülle, doch sehr wenig!«
(...)

Nach ein paar Jahren steckte dieser Dichter 
     in Not, es fehlte ihm das täglich Brot.
Er sprach: » Wenn Armut kommt und Mangel, sucht man
     am besten dort, wo man's bereits versucht hat.
Am Hof, der mir so große Gunst gewährte, 
     trag ich erneut nun mein Ersuchen vor.«

(...)           Der Dichter kam des Wegs, 
     verschuldet und enorm des Golds bedürftig.
Er brachte das Gedicht dem Schah und hoffte 
     auf solche Gaben wie im Jahr zuvor, 
ein liebliches Gedicht voll echter Perlen, 
     verfasst in Hoffnung auf die frühre Gunst.
Der König ließ ihm tausend Dinar geben, 
     denn das war die Gewohnheit dieses Schahs.
Doch diesmal war der wohlgesonnene Wesir 
     vom Diesseits glorreich abgereist;
an seiner statt amtierte nun ein neuer, 
     der äußerst gnadenlos und geizig war.
Der sprach: »Oh Schah, wir haben hohe Kosten, 
     für einen Dichter ziemt sich dies Geschenk nicht.
Mit einem Vierzigstel davon kann ich
     den Dichter glücklich und zufrieden machen.«

Aus dem Persischen von Otto Höschle, aus: Rūmī, Masnawī. Gesamtausgabe in zwei Bänden. 2. Band, Xanten: Chalice, 2021, V. 1156-1213

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