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Veröffentlicht am 19. Februar 2023 von lyrikzeitung
Thomas Brasch
(* 19. Februar 1945 in Westow, North Yorkshire; † 3. November 2001 in Berlin)
CHLEBNIKOW 1
Neben den Werkhallen stehen die Drehbänke auf dem Schrottplatz. Am Fenster die Losung: Automaten treten zur Arbeit an. Aber eine Schreibmaschine bleibt eine Schreibmaschine, sagt der Dichter R. Mit Maschine oder Federkiel nur: Literatur bleibt Literatur. Haltet die Formen rein, sagt der Zeitungskritiker F. auf der Schaukel, ein Gedicht ist ein Gedicht ist keine Erzählung ist kein Theaterstück. In den Werkhallen laufen die Bänder: Lucie fräst, Artur dreht, Kollendt bohrt: Montage. Was ist über den Mann dort zu sagen. Der Wind geht ihm schon auf die Knochen (das Ende der Kälte wird seit 40 Jahren verkündet), aber er wahrt Haltung: Auch nackt bin ich kein anderer Mann. Der alte Mantel ist hin, ein neuer nicht zu haben. Eine neue Haltung ist nicht zu haben, also bleiben wir bei der alten, wahren die Form (ein Gedicht ist ein Gedicht) und der Wind geht bis auf die Knochen. Die klappern wie die alten Reime.
Aus: Thomas Brasch, „Die nennen das Schrei“. Gesammelte Gedichte. Hrsg. Martina Hanf und Kristin Schulz. Berlin: Suhrkamp, 2013, S. 80
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Thomas Brasch
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