Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Heute vor 108 Jahren starb Christian Morgenstern (zu seinem 150. Geburtstag im vorigen Jahr gab es hier ein Jubelfest als L&Poe Journal #01). Zum heutigen Todestag jubeln wir nicht, doch darf man bei einem 151jährigen wohl auch mal scherzen. Hier die erste Ode von Morgensterns Horaztravestie Horatius Travestitus, die er 1897 veröffentlichte.
Hoher Protektor und Freund, Edler von Gönnersheim,
was doch alles der Mensch auf seiner Erde treibt! ...
Dieser fegt auf dem Rad über die Rennbahn, und
platzt der Gummischlauch nicht, geht er zuerst durchs Ziel.
Welcher Tag für den Mann, wenn ihm das Comité
die Medaille verleiht, Meisterschaft zuerkennt!
Jenen wieder erfreut's, wenn ihn der Wähler Schar
an das berühmte Büfett unseres Reichstags schickt.
Andre, wenn der Kaffee prompt aus Brasilien kommt,
Sack an Sack imposant in ihren Speichern steht.
Der Agrarier, der jammernd sein Land bestellt,
tauscht dir dennoch den Pflug mit der Couponscher' nicht,
noch verlockst du ihn leicht, daß einem Dampfer er
sich zur Überfahrt nach Mexiko anvertrau.
Sieh den Kaufmann! Er schimpft auf Kolonialpolitik,
wird Lokalpatriot, gründet Bazars und Klubs,
aber bald wieder doch rüstet mit Schnaps und Blei
neue Schiffe er nach Togo und Kamerun.
N. N. schmollt, wie du weißt, perlenden Sekten nicht,
noch auch, wenn ein Gelag früh im Kaffeehaus schließt;
Sommers stärkt er sich dann durch eine Sprudelkur
oder reist nach Tirol oder nach Helgoland.
Andere wieder sind mit Leib und Seel Militärs,
schmähn das faule Zivil, dem jeder Schuß ein Greul.
Und wer jagt von Beruf oder aus Waidlust nur:
Dessen Hitze vergißt Weibchen und Kinder oft,
wenn sich etwan ein Hirsch in seinen Forst verläuft,
oder Wild- oder Holz- Diebe zu fangen sind.
Mich – der ja, wie du weißt, all diesem Treiben fern, -
reiht mein Sammetbarett göttlicherm Kreise an,
trennt vom Trubel der Welt meiner vier Wände Heim,
zarter Träume ein Schloß, klingend von Scherz und Kuß.
Bleibt die Muse nur treu, rundlich der Pegasus,
deine Schatulle mein Hort, Glück meiner Wege Stern,
sprich gelassen es aus: oh, welch ein Lyriker!
Und vom Himmel herab nick ich, ein Gott zu dir
Das Gedicht von Horaz ist eine asklepiadeische Ode – Morgensterns Parodie bildet das Versmaß nach, so gut es eben auf Deutsch ging:
Maecenas, atavis edite regibus,
Morgenstern macht daraus:
Hoher Protektor und Freund, Edler von Gönnersheim,
Die wörtliche Übersetzung:
Maecenas, alter Könige Sohn
Auch das extreme Strophenenjambement (das Herüberziehen von Sätzen in die nächste Strophe) ließ sich gut nachbilden. Hier die ersten 7 Strophen des Originals (die 7. ist die erste Strophe, die mit einem Punkt endet), darunter die wörtliche Übersetzung dieser 7 Strophen von der famosen Seite 12koerbe.de des Hans Zimmermann, Görlitz) :
Maecenas, atavis edite regibus,
O et praesidi' et dulce decus meum:
Sunt quos curriculo pulver' Olympicum
collegisse iuvat; metaque fervidis
evitata rotis palmaque nobilis
Terrarum dominos evehit ad Deos.
Hunc, si mobilium turba Quiritium
certat tergeminis tollere honoribus;
illum, si proprio condidit horreo
quidquid de Libycis verritur areis.
Gaudentem patrios findere sarculo
agros, Attalicis condicionibus
numquam demoveas, ut trabe Cypria
Myrtoum pavidus nauta secet mare.
Luctant' Icariis fluctibus Africum
mercator metuens, oti' et oppidi
laudat rura sui: mox reficit rates
quassas, indocilis pauperiem pati.
Est qui nec veteris pocula Massici,
nec partem solido demere de die
spernit; nunc viridi membra sub arbuto
stratus, nunc ad aquae lene caput sacrae.
Multos castra iuvat, et lituo tubae
permixtus sonitus, bellaque matribus
detestata. Manet sub Jove frigido
venator, tenerae coniugis inmemor;
seu visast catulis cerva fidelibus,
seu rupit teretes Marsus aper plagas.
Maecenas, alter Könige Sohn,
o du mein Schutz und meine beglückende Zierde:
Manche gibt's, die mit dem Rennwagen olympischen Staub
aufzuschürfen erfreut; die die Wendesäule, mit glühenden
Rädern vermieden, und der adelnde Palmzweig
als Herren der Erde hinauffährt zu den Göttern.
Den auch, wenn der unruhigen Römer Schar
streitet, ihn zur dreifachen Ämterehre zu erheben;
und jenen, wenn er in eigener Scheune anhäuft
was von libyschen Tennen gefegt wird.
Den, der sich daran freut, daheim mit der Hacke zu furchen
den Acker, – selbst mit den Traumbedingungen des Attalos
kannst du den nimmer bewegen, auf zyprischem Boot
als verzagter Schiffer myrtoische Wogen zu schneiden.
Der den mit ikarischen Fluten ringenden afrikanischen Sturm
fürchtende Kaufmann, – die Muße und der Heimatstadt
Felder lobt der: repariert bald die Planken,
die lädierten, unbelehrbar, Armut zu ertragen.
Es gibt den, der weder die Becher alten Massikerweins
noch einen Teil vom festgefügten Tagesablauf wegzunehmen
verschmäht; bald die Glieder unter grünem Erdbeerbaum
ausgestreckt, bald am sanften Quell heiligen Wassers.
Viele erfreut das Militärlager und der mit Zinken
vermischte Trompetenklang und Krieg, der von den Müttern
verfluchte. Es verbleibt im kalten Wetter
der Jäger, indem er seine zärtliche Gattin vergißt;
sei es, daß seine munteren Hunde eine Hirschkuh erblickten,
sei es, daß ein Marsischer Eber die gewundenen Netze zerriß.
Quelle (außer für die wörtliche Übersetzung):
Christian Morgenstern, Horatius Travestitus. Ein Studentenscherz mit einem Anhang: Aus dem Nachlaß des Horaz. München: Piper, o. J., 6. Auflage, 11.-12. Tsd.
Neueste Kommentare