Lügenmärchen

Robert Prutz

Lügenmärchen

(1842)

Jüngst stieg ich einen Berg hinan,
  Was sah ich da!
Ich sah ein allerliebstes Land,
Der Wein wuchs an der Mauer,
Und dicht am Throne, rechter Hand,
Stand Bürgersmann und Bauer.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
Unterdessen nimmt mich's wunder.

Und weiter stieg ich frisch hinan,
  Was sah ich da!
Kein Leutnant war, kein Fähnrich dort
Und kein Rekrut zu sehen,
Man wußte nicht das kleinste Wort
Von stehenden Armeen.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
Unterdessen nimmt mich's wunder.

Und weiter frisch den Berg hinan,
  Was sah ich da!
Das ganz liebe Land entlang,
Ins Bad und auf die Messe,
Man reiste frei und reiste frank
Und brauchte keine Pässe.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisieren
    Und Schikanieren?
Unterdessen nimmt mich's wunder.

Und wiederum ein Stück hinan,
  Was sah ich da!
Ein jeder durfte laut und frei
Von Herzen räsonieren,
Man wußte nichts von Polizei
Und nichts von Denunzieren.
  Wunder über Wunder!
    Keine Barone
    Neben dem Throne?
    Glückliche Staaten
    Ohne Soldaten?
    Kein Paßvisieren
    Und Schikanieren?
    Ohne Spione,
    Denkt euch nur: ohne?
Unterdessen nimmt mich's wunder.

(Wird fortgesetzt)

Aus: Neuer Poetischer Hausschatz. Von G. Emil Barthel. Halle: Otto Hendel, o.J., S. 845ff

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