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Veröffentlicht am 10. Mai 2016 von lyrikzeitung
Auch in unseren Breiten leben die Dichter gefährlich, berichtet heute Roman Bucheli in der Neuen Zürcher:
Selbst in dem stillen Städtchen an der Aare kann die Literatur zum Ernstfall werden. Es war weit nach Mitternacht (dies jedenfalls sagte das subjektive Zeitempfinden), längst hätte ein seriöser Berichterstatter in seinem Hotelzimmer sein müssen, aber er sass mit Peter Bichsel in einer Bar beim letzten Bier, als die Ambulanz furchtbar still durch die engen Gassen kurvte. Zu welchem Notfall sie unterwegs war, erfuhr der Berichterstatter erst anderntags. Der Dichter Jürg Halter hatte zu einer feurigen Performance Anlauf genommen, stürzte von einem Tisch, knallte rücklings gegen eine Tischkante – und stand glücklicherweise aus eigener Kraft wieder auf, freilich stark blutend.
Nur wenige Stunden zuvor hatte er über die «Ausweitung der poetischen Zone» gesprochen und dabei das nachgerade prophetische Bekenntnis abgelegt, er habe keine Angst, sich unplanbaren Situationen auszusetzen. Wir hätten es ihm geglaubt, auch ohne blutige Beweisführung, denn schon da, am helllichten Morgen, hatte er eine spontane Performance mit diesen hübschen Nonsens-Versen beendet: «Ich schenke mir Wasser ein / und warte dann / dass es sich verwandelt / in . . .» Und während in der Kunstpause nun alle das vom Reim suggerierte «Wein» antizipierten, machte Halter allen Hoffnungen auf diese poetische Transsubstantiation eine lange Nase und ergänzte: «. . . in Bier.»
Kategorie: Deutsch, SchweizSchlagworte: Jürg Halter, Peter Bichsel, Roman Bucheli
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