Indonesische Lyrikszene

Beate Tröger: Wie ausgeprägt ist die indonesische Lyrikszene?

Martin Jankowski: Auch wenn kaum jemand Bücher kauft (die im tropischen Klima selten lange halten): Lyrik ist populär. Tageszeitungen und Internetforen sind voll davon, Rezitationswettbewerbe und Lyrikvertonungen gehören zum Kulturprogramm an Festtagen, fast jeder Indonesier kann viele Verse auswendig. Hunderte Lyrikfestivals und -gruppen bleiben allerdings in lokalen Kulturen verankert und werden national selten wahrgenommen. Wir Zaungäste bekommen eher die Szene von 200 bis 300 akademischen Lyrikern aus den Großstädten zu Gesicht, die hoch angesehen, sind aber nur von einer Minderheit gelesen werden.

Wir haben neulich das Gedicht eines Bauernsohns gehört, das von seinem Autor Agus R. Sarjono quasi singend vorgetragen wurde. Ist diese Rezitation typisch für indonesische Gedichtlesungen?

Typisch ist ein Hang zum dramatischen Vortrag: Den Text nüchtern vorzulesen, wie wir es bevorzugen, gilt als armselig und langweilig – ein guter Poet ist auch ein guter Rezitator. Ob man dabei singt, tanzt oder noch anderes tut, bleibt den Poeten überlassen; es geht darum, einen persönlichen Vortragsstil zu entwickeln. Indonesische Lyriker sind oft auch Performance-Künstler, eine Eigenart, die sie bei westlichem Publikum oft verbergen.

Welchen Lyriker oder welche Lyrikerin würden Sie zur Einstimmung in die indonesische Poesie besonders empfehlen?

Und warum?

Weil sich Indonesiens Literatur, wie ich schon angesprochen habe, durch eine Vielfalt der Stimmen und Stile auszeichnet, lässt sich kaum Typisches empfehlen. Zwei Namen sollte man aber kennen, wenn man sich mit Indonesiens Poesie beschäftigt: Chairil Anwar (1922–1949) war der erste bedeutende moderne Dichter Indonesiens, ein eindringlicher und lakonischer Poet. Der einflussreichste Gegenwartsdichter war W. S. Rendra (1935–2009), ein Dichter, Dramatiker und Theatermann, unter dessen Einfluss die gesamte heute tätige Lyrikszene Indonesiens steht. Und denjenigen, die sich einen ersten Überblick über die indonesische Gegenwartslyrik verschaffen möchten, empfehle ich diedeutschsprachige Sonderausgabe von Indonesiens führendem Lyrikmagazin Jurnal Sajak. / Freitag 42

sasakananas: INDONESIEN MATERIAL. gedichte und notate Martin Jankowski
Leipziger Literaturverlag 2015, 120 S., 14,95 €

 

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