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Friederike Mayröcker ist eine wahrhaft große Dichterin. Das Schreiben ist für sie, wie sie in einem Zeitungsgespräch erläutert, ein „total anderer Zustand“: „Es ist fast, wie wenn ich eine Droge nehmen würde. […] Es ist ein magischer Zustand. Ich rede nicht gerne darüber. Ich empfinde es beinahe als Verrat, darüber zu sprechen. Es ist auch für mich ein Geheimnis.“
Ihr dichterisches Selbstverständnis ist, wie das folgende Gedicht zeigt, beeindruckend klar:
für CF am frühen Morgen (15. 1. 05)
ist das 1 Gedicht, sagt CF, ja
das ist 1 Gedicht: indem ich sage das ist
1 Gedicht ist es 1 Gedicht. Meine
Ärztin sagt, essen Sie 1 Gedicht, ich
weisz nicht wie man es kocht, sage ich. Wenn Antoni
Tàpies sagt, diese weisze Form ist 1 Sessel, erkenne
ich in dieser weiszen Form einen Sessel, ins
Zentrum gerückt. Indem ich von einem Urinoir sage, das
ist 1 Kunstwerk, sagt Marcel Duchamp, ist
es 1 Kunstwerk. Indem ich sage, die
weiszen Schäfchen am Himmel, sind es die
weiszen Schäfchen am Himmel“.
Die Lyrikerin besteht auf der Kraft ihrer Sprache, ist sich des „magischen Zustands“ ihres Schreibens bewusst. Sie versteht sich als „Sprachzauberin“ mit höchster dichterischer Autorität und reiht sich mit diesem Anspruch ein in die Gruppe von Künstlern, deren Kriterium für Kunst, wie sie behaupten, in ihnen selbst liege: Ihr Werk sei, inspiriert von ihnen, den Künstlern, immer Kunst.
Ähnlich äußert sich Mayröcker in einem Zeitungsgespräch aus dem Jahr 2012: „Es gibt sogar Momente, in denen ich darüber nachdenke, was wohl die Leser zu einem bestimmten Satz sagen werden. Trotzdem würde ich ihn nie deswegen ändern. Er kann nur so lauten, wie er da steht. Mir geht es immer nur um die Sprache. Um ihre Funktionsweise, vor allem ihre Schönheit. Handlung, Botschaft, interessiert mich alles nicht.“
Die Schlusszeilen ihres Gedichts für CF am frühen Morgen erinnern in ihrer herausfordernden Bestimmtheit an einen frühen Tagebucheintrag Franz Kafkas vom 19. Februar 1911: „Die besondere Art meiner Inspiration […] ist die, dass ich alles kann, nicht nur auf eine bestimmte Arbeit hin. Wenn ich wahllos einen Satz hinschreibe z. B. Er schaute aus dem Fenster so ist er schon vollkommen.“ So wie sich Kafka als „vollkommenen“ Dichter sieht, sieht sich die Lyrikerin als eine Schöpferin von Sprachbildern, deren Wahrheit durch nichts als den dichterischen Text selbst konstituiert wird und darin vollständig zum Ausdruck kommt. / Herbert Fuchs, literaturkritik.de
ich sage ein satz dazu, er mag positiv oder negativ sein,
nein er ist weder abfällig noch hymnisch:
viele sagen, das sei gut / jemand anderes sagt, es ist schlecht / ist das 1 kritik ja das ist / 1 kritik indem er sagt / das ist eine kritik … //
viele andere sagen das ist / keine kritik das kann /kein urteil sein also ist es / kein urteil oder etwas / anderes an sich / in seiner / unverhältnis mäszigkeit 250.000 bekommt Tapies für einen socken / bevord er dann überhaupt /n in weisz / in serie geht / ein ander zahlt für gestreifte / 2,50
wenn einer sagt / das ist eine kritik sagt eine / ein urteil und viele / andere sagen das nicht so / es ist dann / dasz es etwas ist / worum es sich handelt …
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http://lexemtentakel.wordpress.com/2014/12/11/ist-das-ein-gedicht/
??
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unbedingt. der kummer ist nur, der potentielle leser entscheidet auch selbst. hoffentlich ist er genügend vorurteilsfrei um das angebot zu prüfen
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ich stimme ihr vollkommen zu „indem ich sage das ist 1 Gedicht ist es 1 Gedicht“ … Wie ich noch in Wien Komparatistik studiert habe, habe ich gelernt, dass Kunst das ist, was vom anerkannten Kunstkritiker als Kunst bezeichnet wird. Das verfolgt mich beinahe seitdem. Was ist Kunst? Und was in weiterer Folge ist ein Gedicht? Friederike Mayröcker bringt es auf den Punkt indem sie (als Dichterin) sagt, „das ist 1 Gedicht“. Jeder Dichter kann es für sich selbst entscheiden. Ich habe mal ein Einversgedicht geschrieben und einmal eines ohne Verse. Es war als Gedicht gedacht, deshalb war es auch eines und wenn ich Lust habe lies ich beide auf Lesungen vor. Ich weiß ich schweife grade vom Thema etwas ab, glaube ich, und auch wenn Friederike Mayröcker einer der ganz Großen der deutschsprachigen Dichter ist, brauch sich jemand ohne großem Bekanntheitsgrad nicht einschüchtern lassen von Kritikern oder der Größe anderer. Jeder Dichter entscheidet selbst was ein Gedicht bzw was Poesie ist.
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